Auf allen Ebenen Frauen – das hatten wir schon öfters, auch in diesem Jahr, aber vermutlich noch nie so viele auf einmal: Über 40 aus ganz Deutschland und Litauen, genauer aus unserer Partnerstadt Vilnius, im Erdgeschoss, zueinander geführt durch den Patchworktreff Berlin-Brandenburg, begegnen einer Thüringerin im Obergeschoss – im bewussten Gegensatz von doch grundsätzlich Verwandtem, im gezielten Kontrast zwischen explodierender Farb- und Formfülle unten zu konzentrierter, farbverhaltener, fast meditativer In-sich-Gekehrtheit oben, zwischen expressiver Dynamik dort, gedankenschwerer Ruhe hier.
Was verbindet, was trennt Quilts und Filz, was diese beiden Expositionen unter einem Dach?
Der Gleichklang der beiden Worte gehört zu dem Wenigen, was auf den ersten Blick diese beiden sehr unterschiedlichen Bereiche der Textilkunst zueinander in Beziehung setzt.
Denn was dem Quilter glatte, oft bereits bedruckte Leinen-, Seiden-, Baumwollgewebe, ist dem Filzer die rauhe, naturbelassene Schafwolle, was dem Quilter der grafisch gliedernde Faden, ist dem Filzer die malerisch verfließende Faser, was dem Quilter die Geometrie der klaren Kanten, ist dem Filzer das weiche Überlagern, Verschmelzen, Ineinanderdringen der Flächen und Ebenen.
Und doch: In der Entfernung finden wir die Nähe.
Gefangen in der gemeinsamen Leidenschaft für textile Materialien, verbindet den Quilter mit dem Filzer – oder, den Mehrheiten Rechnung tragend, die Quilterin mit der Filzerin – die differenzierte Sensibilität, die man benötigt, um den sinnlichen Reichtum dieser Werkstoffe zu erleben und wirkungsvoll zu verwenden: leicht und schwer, dicht und locker, rauh und glatt, glänzend und stumpf gegeneinander auszuspielen, zu erproben und spielerisch vorzuführen, wie sich Fasern und Fäden bewegen lassen, fallen, gleiten, sich bauschen, knittern, knistern, rascheln, rauschen, Flächen, Falten, Wülste, Formen, Zeichen, Bilder, Reliefs, Figuren und Skulpturen bilden, um zu verhüllen, zu schützen, zu wärmen, aber auch einfach nur betrachtet zu werden, weil sie in allen Farben des Universums leuchten, strahlen oder auch nur sanft schimmern oder sich matt zurücknehmen bis hin auf ihren Kern, den Faden und die Faser.
Und doch bewegen sie sich auf unterschiedlichen Wegen aus der ursprünglichen funktionellen Bindung des textilen Materials und der daraus geschaffenen Dinge, die zumeist in der Aufgabe, den Menschen zu wärmen, besteht, hin zur Kunst, die am Ende doch für beide das entscheidende, wenn auch nicht immer und von allen erreichte Ziel ist.
Und während die einst hautnah unseren Schlaf behütende Steppdecke sich aus unserem Bett an die Wand flüchtet, um nunmehr unsere Seele zu wärmen zu wollen statt unseres Körpers, verweigert sich die Schaffwollfaser dem Spinnrad, streikt vor der profanen Umhüllung unsere Füße, Köpfe oder der Abdichtung von Fensterritzen, der Auspolsterung von Schreibmaschinen und Klavierhämmerchen, um selbstbewusst und in der Gewissheit ihrer sinnlichen Präsenz Räume zu besetzen, die dadurch zu Kunsträumen werden.
Quilts jedoch – auf der einen Seite – und damit in Verwandtschaft zu Stickerei und Applikation oder auch in Nachbarschaft zum Gobelin suchen auf diesem Wege mehr oder weniger die Orientierung an den Bildauffassungen der ebenso flächenbetonten Malerei und Grafik und kommen durch die technologisch begründete geometrische Gliederung natürlich damit vor allem der Moderne nahe, den kraftvoll klaren Abstraktionen des Expressionismus, Kubismus oder auch der Konkreten Kunst, die den widerspruchsvollen Geist einer von Impressionen und Informationen überquellenden, technik- und tempogeprägten Zeit wiederspiegeln.
Die Auseinandersetzung mit Filz dagegen – auf der anderen Seite – führt durch die Dominanz der urtümlichen Faser fast zwangsläufig zunächst zurück an die Wurzeln textilen Arbeitens überhaupt und damit in einer logischen Linie zum archaischen Formengut unserer Vorfahren, reduziert auf das zeichenhaft Skulpturale von Kultgegenständen und Totems, einer zur Bildformel geronnenen Verbindung aus spirituell modifizierter Naturerfahrung und geistiger Verdichtung einer rituell geprägten Weltsicht von scheinbarer Geschlossenheit und Harmonie, und gelangt so auf diesem scheinbaren Umweg, der doch selbst schon ein Teil des Ziels ist, zurück in die Gegenwart einer inzwischen ebenso auf Zeichen und Formeln konzentrierten Kommunikation.
Die Ausstellungen auf beiden Ebenen dieses Hauses laden Sie ein, beide Wege ein Stück mitzuwandern, die Unterschiede ebenso wie die Gemeinsamkeiten zu entdecken und zu genießen und auch daran den Reichtum der Textilkunst zu erleben, der schier keine Grenzen gesetzt zu scheinen und die keine Ende kennt außer dem des Fadens oder der Faser, egal, ob aus Leinen oder Wolle.
Dazu gibt es heute auch noch einiges zu hören, und vielleicht wird auch der eine oder andere herumspinnen oder den Flachs blühen lassen (Anwesende natürlich ausgeschlossen!), auf keinen Fall jedoch soll der Filz eine Rolle spielen, der die Brillenfassung Uneinsichtiger füllen oder so manche Behörde zum unerreichbaren Dornröschenschloß machen soll.
Und daher gebe ich dem offenbar dem Textilen nahestehenden Hans Christian Andersen (man denke nur an „Des Kaisers neue Kleider“!) das Schlusswort aus seinem Märchen über die Mutter aller Leinwände, den Flachs: „Snipp-Snapp-Snurre, Basselurre. Aus ist das Lied!“
Erfurt, 18.09.2004 | Dr. Jutta Lindemann