„Wenn wir uns verlassen, sind wir Ruinen – es dauere ewig, um ein neues Haus zu sein“, schreibt Sven Schmidt, Absolvent der bekannten Hallenser Design- und Kunsthochschule Burg Giebichenstein und Meisterschüler von Frank Ruddigkeit, erfahrener Designer, Innenarchitekt und (auch hier zu spüren) Ausstellungsmacher, der sich seit langem auch die verschiedensten Genres von Malerei und Grafik über Keramik, Objekt- und Installationskunst miteinander verbindet, in sein mehrteiliges großformatiges Tafelbild „Kreuzigung“.
Sicherlich verschließt sich dieser Gedanke kurzschlüssigen Deutungsversuchen – seine wahre Botschaft bleibt schillernd mehrdeutig und letztlich Geheimnis des wieder in seiner Geburtsstadt Gera ansässigen Künstlers.
Aber ich habe so eine Ahnung, dass dieser Text durchaus auch einer der Schlüssel zum künstlerischen Konzept der vielseitigen und umtriebigen „Ger’schen Fettgusche“ (O-Ton Schmidt) sein könnte: die Metamorphosen, das sich dem Leben und der eigenen Vision davon ständig Anverwandeln in der Kunst und durch die Kunst hinterlassen immer aufs neue Ruinen in und um uns, aus denen sich selbst immer aufs neue zu erschaffen den ewig unerfüllten Arbeiten des antiken Sisyphos gleicht.
Bertolt Brecht schildert in einer seiner unvergessliche Geschichten vom Herrn K., wie Herr K., konfrontiert mit der Behauptung, er habe sich überhaupt nicht verändert, erschrocken „OH!“ antwortet und erbleicht.
Herr B. hätte damit sicherlich auch Herrn S. gemeint, hätte er ihn noch kennenlernen können.
Denn befindet man sich inmitten seiner Arbeiten, spürt man fast körperlich die ständigen dynamischen Wandlungs- und Anverwandlungsprozesse, die oft auch schmerzhaften Häutungen einer vitalen Künstlerpersönlichkeit, die voller Ernst und Witz zugleich uns in mit hineinzieht in den Strudel der dramatischen Ereignisse in seinem Kopf und in seinen Bildräumen.
Aus offenen, frei über die Bildränder hinaus gedachten kompositorischen Strukturen entwickeln sich ambivalente Figurationen: Köpfe, Körper, Gliedmaßen, Gewächse, Geräte – was auch immer – Formulierungen, die zuweilen auch komprimiert, konzentriert werden bis zur abstrakten Formel jedweder dieser Lebensäußerungen.
Oszillierend zwischen Zeichnung, Druckgrafik und Malerei, von einem großzügigen und eher grafisch-linearen Gestus bestimmt, immer wieder mit raumgreifenden Ambitionen in die dritte Dimension hinein, was dann auch gelegentlich mit unausweichlicher Konsequenz zur Körperlichkeit von Objekten, etwa Keramikgefäßen von skulpturalem Charakter, und zu Installationen führt – in allen Sequenzen seines Schaffens und auch dieses Ausstellungsbeitrags führen die Überlegungen des Künstlers auf Elementares zurück wie etwa das Licht.
Fast immer nämlich bleibt dem Weiß des Fonds eine tragende Rolle im Spiel der Bildelemente, bleibt also eine Tür offen to the second floor einer weiteren Bedeutungsebene, einer anderen Existenz hinter der materiellen Realität farbbedeckter Papiere und Leinwände – vielleicht auch eine Fluchttür aus dem wilden und auf den ersten Blick manchmal auch verwirrenden Zeichenlabyrinth.
Aber wozu Flucht, wenn man sich inmitten all der fast aggressiven Dramatik schroffer und straffer Liniengerüste auf den zweiten Blick doch wärmen und wiederfinden kann in weichen, wattigen Farbnebeln aus Pastellkreiden, rasch und frei über das glatte Papier gewischt, sanft begleitet, gehalten von fragilen, sensibel gesetzten feinen Linien, von schwebender Leichtigkeit vor dem abgründigen Licht des weißen Bildgrundes. Und nur logisch erscheint von daher der Schritt zu den transluziden Lichtobjekten, bei denen das Dahinter und das Davor einander durchleuchten, durchdringen, durchmischen: auf Lichtkuben oder alte Industriescheinwerfer gelegte Folien mit Computerausdrucken, entstanden aus dem rasanten Tanz der Mouse über eingescannte Grafiken, thematisch inspiriert von der Grundidee des Datenträgers und des ihn kennzeichnenden Covers in einem Fall und von der historischen Entwicklung und wundersamen Fähigkeit der menschlichen Hand im anderen – und immer wieder auch von den unterschiedlichsten Lichtspendern, auch den vom menschlichen Geist, aus menschlicher Hand geschaffenen. Weißgrundig erscheint – vor allem aus gehöriger Entfernung – das großformatige Tafelbild zu Texten von Arno Gruen aus seinem Buch „Der Fremde in uns“, einer Psychologie der Macht und ihrer Perversionen, der Ursachen für Machtbesessenheit und -missbrauch in der menschlichen Gesellschaft. Doch sollte man etwas genauer hinsehen, wie neben den illustrierenden gestisch-figurativen Bildzeichen, realisiert in Schablonentechniken, die wie so mancher andere Trick dem Designer, Werbe- und Ausstellungsgestalter vertrautes Handwerk sind, aus dem Bildgrund flüchtig hingeschriebene Notizen von Textauszügen aufsteigen, so dass letztlich erst im Miteinander des Bild-Text-Gefüges der Grundgedanke des Buches auch sinnlich erfahrbar wird.
Doch selbst die dominant rot- und grüngrundigen, in einer raffinierten Schellacktechnik entwickelten Lithografiereihen erscheinen von einer so saftig leuchtenden Transparenz gerade der monochromen, durch punktuelle Spots aus fein nunanciert eingekratzten Schraffurschleiern weiß gehöhten Farbflächen geprägt, dass die spirituelle Kraft des Lichtes auch hier ihre durchgängig tragende Rolle weiterspielt – wie auch in der comicartigen Schwarz-Weiß-Geschichte von der „Sache mit dem Einkaufswagen“, die in ihrem edel gestreckten Hochformat surreal und doch auch ein wenig boshaft doppelbödig daherkommt, denn sie überlässt dem Betrachter die Deutungshoheit und dem Künstler den heimlichen Spaß an deren Irrtümern.
Aber letztlich können wir ja auch in die reine Ästhetik flüchten und einfach nur Genuss finden an einer auf den ersten Blick frechforschen, auf den zweiten jedoch sensiblen, geradezu sesualistischen Formsprache.
Das schließt auch eine Werkgruppe Keramik ein, entstanden in Zusammenarbeit mit der Künstlerkollegin Kathrin Bruskies: Fragile grafische Texturen erzählen über eine dekorative Funktion hinaus unendliche Bildgeschichten – immer herum um einen streng kubischen Korpus mit rauer unglasierter Materialhaut – Geschichten ohne Anfang und Ende wie das Leben selbst. Und innen sieht’s dann entsprechend finster aus … aber durch Öffnen trägt man das Licht hinein.
Immer aber kann wohl gelten: Was da so schnell aus Lust, Laune und dem Bauch heraus hingeworfen scheint und manchmal wohl auch ist, folgt doch mehr oder weniger direkt gründlicher Gedankenarbeit über Leben und Welt im ringsum erlebten Kleinen wie im weltgewaltig Großen.
Das als Designer Gelernte und Erprobte ist dabei willkommen – und offensichtlich nicht nur dienend für eine schon ausgewachsene Bildidee, sondern partnerschaftlich impulsgebend im Findungsprozess: Abkleben, Sprühen, Laufenlassen, Überwalzen, Mixturen von klassischen Druck- mit digitalen Techniken, Überlappungen von Design und sogenannter „freier Kunst“ (was ist das eigentlich?) potenziert sich in seinen bildnerischen Wirkungen gegenseitig zu einer Gesamtaussage, in der das spontan Eruptive mit dem rational Gebauten in Spannung trotz Übereinstimmung verschmilzt, das Sanfte gegen das Derbe erfolgreich zu Felde zieht wie David gegen Goliath und die endliche Bildform unter dieser Konfrontation zwar bebt, aber besteht. Aus Für und Wider, Drunter und Drüber, Liebe und Hass kämpfen sich – nicht ohne die Mithilfe auch unserer Phantasie – Gesichter und Gesichte, Gestalt und Gestalten ins Licht – in Bewegung und Erstarrung, Sieg und Niederlage, Endlichkeit und Ewigkeit. Mit ihnen konfrontiert, liegt nun alles Weitere bei uns. Der Künstler hat sein Teil dazu getan, er genießt, schmunzelt und schweigt, und ich werde mich ihm nun anschließen – mit einem Gedanken von Lyonel Feininger, dem leider aus seiner Wahlheimat Thüringen Vertriebenen und gestern vor 50 Jahren im Exil seines Geburtsortes New York Verstorbenen, dem wohl am heutigen Abend auch ein Gedenk-Schluck gelten sollte: „Die Gesetze der Natur sind’s, hinter die wir kommen, wenn wir gestalten.“
Erfurt, 14.02.2005 | Dr. Jutta Lindemann