Sabine Schmitt – Dimensionen

Begrüßung zur Vernissage am 14.08.2004 im Kulturhof Krönbacken – OG Waidspeicher

Wenn der Mensch ein inwendiges Werk wirken will, so muss er alle seine Kräfte in sich ziehen, wie in einen Winkel seiner Seele, und muss sich verbergen vor allen Bildern und Formen, und da kann er dann wirken. Da muss er in ein Vergessen und in ein Nichtwissen kommen. Es muss in einer Stille und in einem Schweigen sein, wo dies Wort gehört werden soll.

Meister Eckhart: Predigt Vom Unwissen

 

Der meditative Charakter des Obergeschosses im alten Waidspeicher des Kulturhofs zum Güldenen Krönbacken inspiriert seit Jahren ganz besonders zu Installationen, die dem Genius loci im Spannungsfeld zwischen Geschichte und Gegenwart huldigen.

 

In der kontemplativen Stille dieses Ortes steigert sich die Konzentration auf künstlerisch formulierte, sinnlich getragene geistige Prozesse auf fast mystische Weise, so dass auch über das Ehrenjahr des Meister Eckhart hinaus seine Worte sich künstlerischen Arbeiten in diesem Raum immer wieder wie selbstverständlich hinzugesellen.

 

Von der Aura des besonderen Ortes ließ sich, angeregt durch Freunde, auch Sabine Schmitt faszinieren und bringt nun ihre Stimme in den bereits über viele Jahre fort klingenden Chorus der bildnerischen Zwiesprache mit diesem Raum ein: Boden- und Klanginstallationen verbinden sich mit der farblich ebenso auf Schwarz, Weiß und Naturtöne reduzierten Malerei durch die plastische und oft sogar räumlich-skulpturale Qualität ihrer Oberflächentexturen und Körperstrukturen zu einer Gesamtgestaltung der vorgefundenen räumlichen Situation.

 

Diese durchaus minimalistisch zu nennende Haltung, die den spezifischen eigenen Ausdruckswerten der Materialien und Formbeziehungen verstärkt Rechnung trägt, vertieft eine die Sparten ebenso wie die mit unseren Sinnen erfahrbaren Dimensionen übergreifende Wahrnehmung des gestalteten Raumes als Gesamtkunstwerk – strenge Tektonik und Rhythmik der einander zugeordneten Elemente nähern sich zuweilen sogar den uns in Erfurt ganz besonders vertrauten Positionen der Konkreten Kunst.

 

Die in Göttingen lebende Künstlerin hat mit Arbeiten in dieser Auffassung bundesweit Aufmerksamkeit gefunden; für Erfurt findet schon Bekanntes in neuem Kontext und damit neuer Bedeutung zueinander.

 

Und wie durch Zufall (aber daran glaube ich nicht) entsteht eine Wahlverwandtschaft zur zeitgleichen Ausstellung „Landnahme“ im Erdgeschoss, die im Kontext der diesjährigen Bonifatiusehrung der geistigen und materiellen Besetzung von Flächen und Räumen im historischen wie aktuellen politischen und philosophischen Sinne künstlerisch nachspürt.

 

Sabine Schmitt, die weg aus dem trockenen Paragraphendschungel einer juristischen Ausbildung sich sehr früh vom ebenso undurchschaubaren und oft undurchdringlichen Urwald der Kunst unrettbar angezogen fühlte (und ihr meditativ-körpersinnlicher Broterwerb erscheint mir gar nicht so weit weg von dem Ort in dieser wilden Welt, den sie darin für sich gefunden hat und behauptet), führte der Weg konsequenterweise Schritt für Schritt von einer Dimension in die nächste: aus rein flächiger abstrakter Malerei ins Relief und das noch flächengebundene und doch schon raumgreifende Körperhaft-Skulpturale der Assemblage folgerichtig in die Installation, die aus kleinsten Raumgebilden meist flächenbetonte Körper bildet, die wiederum den Raum sukzessive, gewissermaßen wie auf Zehenspitzen, doch unübersehbar und nachhaltig erobern. Dies Kunsthaltung ist getragen von einer spezifischen Haltung zum Dinglichen:

 

Das Wort, der Logos oder die Idee der Dinge ist so in ihnen, und (zwar) ganz in den einzelnen, dass sie trotzdem ganz außerhalb jedes einzelnen ist, ganz drinnen, ganz draußen.

Meister Eckhart: Lateinische Werke III, 11, 14 ff

 

Während in diesem Sinne in den Assemblagen die einzelnen Bildobjekte, durchaus auch Träger ambivalenter, deutungsoffener Botschaften, gemacht statt gemalt, gebildet statt abgebildet werden und in erster Linie wohl für sich selbst stehen und sich selbst bedeuten – und das ist schon eine ganze Menge, wie der geschulte Rezipient konkreter Kunst sehr wohl weiß – entsteht die Bildidee bei den Installationen erst aus der Erkenntnis der Gesamtform in der Zusammenschau ihrer einzelnen Teilformen und des komplizierten und widersprüchlichen Verhältnisses beider zueinander, das vom Weltverhältnis der Mystik bestimmt zu sein scheint.

 

Einheit eint alle Mannigfaltigkeit, aber Mannigfaltigkeit eint nicht Einheit.

Meister Eckhart: Fragmente 25

 

Die meditative Anmutung der Texturen aus rhythmisch regelmäßig geordneten, in sich einfachen Elementen entspricht jedoch vielleicht gerade deshalb sowohl in der Malerei als auch in den Installationen der kontemplativen Ausstrahlung des vorgefundenen Raumes, der die Einheit von Teil und Ganzem für sich souverän gelöst hat, und macht zugleich den Schritt in die nächste Dimension Zeit und damit in das geheimnisumwitterte Raum-Zeit-Gefüge sinnfällig.

Das Miteinander-Verschmelzen der Dimensionen von Raum und Zeit wird vor allem nahezu körperlich spürbar über die Prozeßhaftigkeit der Installationen im fantasieanregenden geistigen Nachvollziehen der mühsamen Tätigkeiten beim Entstehen. So dauerte beispielsweise das Aneinanderfügen hunderter ölgetränkter Wabenringe zu einem großen Rechteck im Objekt „One/multiple“ durch eine Person fast zwei Arbeitstage und ist durch nichts zu beschleunigen, das Knittern und Verflechten der Papierstränge für den „Quader“ mehrere geräuschvolle Raschelstunden. Ein jegliches braucht seine Zeit …

 

In der tachistisch-materialsinnlichen Malerei, auf Weiß und Naturtöne farbreduziert zugunsten der Aussage reliefplastischer, zuweilen in ihrer Verhüllung mysteriös wirkender Objekte und des Eigenausdrucks von Erd- oder Sandpigmenten oder einer Fundstücke unwiederbringlich verschlingenden Wachsmasse, tritt dieser Aspekt des Verlaufs in Raum und Zeit für mein Empfinden am überzeugendsten in den weißen Bildern mit pastos darüber gezogenen Tubenspuren zutage, die sich Zeile für Zeile für Zeile für Zeile aneinander fügen wie der wachsende Text eines langen, niemals endenden Tagebuches oder Briefes, adressiert an unsere Sensualität, und die damit einen in ruhigem Rhythmus fließenden Fortgang der Gedanken durch den Fortgang des Betrachtens suggerieren.

 

Zwar zunächst konzeptionell-gedanklich, doch dann konkret sinnlich formulierte Korrespendenzen zwischen Flächen- und Raumdimension schafft die Installation „Schwarz-Weiß-Vorrat“.

 

Die in der Malerei auf der Leinwand flächig verstrichene Farbe wird in der Installation auf das Pigment zurückgeführt, das in seiner körperlichen Präsenz die Miniräume transparenter Behältnisse als fassbare materielle Masse unübersehbar raumprägend füllt.

 

Als ergänzender Aspekt der Verknüpfung von Körperlichkeit und Räumlichkeit tritt die Verdichtung mehr oder weniger transparenter und transluzider Schichten durch Überlagerungen hinzu und lässt Assoziatives zu. Glänzende Folien schillern einzeln gläsern, bilden jedoch Fläche an Fläche nebeneinander mit wachsender Dichte immer hellere fast metallische Farbwerte; blaue Pinselspuren laufen als Wellensäume über schimmernden Schlickboden, und seidig leichte, luftige Zartheit des doch lastend ruhenden „Quaders“ steigert die Assoziation zur Irritation: Wer in weiche Polster springen zu können vermeint, landet hart auf dem Boden der Tatsachen von sperrigem Butterbrotpapier – optische Täuschung par excellénce. Die Prinzessin auf der Erbse lässt grüßen!

 

So schließt sich der Kreis unserer Wanderung zwischen den Dimensionen von Fläche, Raum und Zeit, der Keim aber jeder Arbeit, und das verbindet auch die unterschiedlichste Ansätze, liegt immer in etwas Einfachem, Bescheidenem, fast Banalem, das durch den Kunstwillen dem Alltag enthoben und einer neuen Kunstwirklichkeit zugeführt – und damit einer neuen Aufgabe, einem neuen Sinn seines Da- und So-Seins. Rädchen zu sein im großen Getriebe ist möglicherweise nicht jedermanns Sache – doch die Kunst lässt es zum Genuss werden – und uns vielleicht die große Lebensweisheit des taoistischen Philosophen Lao-Tse wieder auf eine neue Weise begreifen (und wie schön, dass mein Lieblingsspruch und Lebensmotto einmal mehr hier gesagt werden kann):

 

Denn alles Schwere der Welt ward aus Leichtem

und alles Große entsteht aus Geringem,

nie müht sich darum der Weise um Großes,

und so vermag er Großes zu vollbringen.

 

Und doch gebe ich nicht ihm heute das letzte Wort, sondern, wie oft in letzter Zeit, Rainer Maria Rilke, und überlasse Sie dem Mysterium dieses Textes und der Aufgabe, die Antwort auf die Frage zu finden, was seine Worte mit dieser Ausstellung und dem heutigen Abend verbindet.

 

Wir haben nie, nicht einen einzigen Tag,

den reinen Raum vor uns, in den die Blumen

unendlich aufgehn. Immer ist es Welt

und niemals Nirgends ohne Nicht: das Reine,

Unüberwachte, das man atmet und

unendlich weiß und nicht begehrt.

(Aus: Die achte Elegie)

 

Erfurt, 14.08.2004 | Dr. Jutta Lindemann