Man wird ja wohl noch fragen dürfen – oder?
Zum Beispiel: Wozu eigentlich die ganze Anstrengung: genaues Hinsehen, minutiöses Erfassen jedes Details, perfektes Abbild des Gesehenen in jeder Linie, jeder Textur, jedem Lichtton, jedem Farbklang – wozu das Ganze im Zeitalter von Digitalkameras und Computerprogrammen, die per Mouseclick jeden Schnappschuss in Gemälde jeder Stilart verwandeln können?
Oder aber: Wieso taucht er eigentlich – wenn auch unter immer neuen Etiketten – andauernd wieder auf, dieser vermaledeite Fotorealismus, wenn es inzwischen jedes Mini-Telefonchen schneller und schärfer und bunter kann? (Abgesehen davon, dass diese vertrackte Lichtbildnerei, getragen von wirklich Großen des Metiers, es seit langem in die Museen und Galerien der Welt geschafft hat …)
Und schließlich: Steckt dahinter vielleicht dasselbe Mysterium, das auch die gute alte Malerei mit Pinsel auf Leinwand, diese mühselige Modderei mit alldem unwiderstehlich duftenden, tropfenden, klebenden, leuchtenden Schlamm aus der Tube nicht nur weiter am Leben hält, sondern geradezu fröhliche Urständ feiern lässt zwischen all den durch das Universum flitzenden Bits und Bytes?
Bekanntermaßen gibt es keine dummen Fragen – nur dumme Antworten, also versuche ich es erst gar nicht damit. Aber ein bisschen Denken scheint unvermeidlich – vor, nach, zurück und drumherum. Und dabei stößt man ebenso unvermeidlich auf die weisen Alten: „Schließe dein leibliches Auge, damit du mit deinem geistigen Auge zuerst sehest dein Bild. Dann fördere zu Tage, was du im Dunkeln gesehen, dass es zurückwirke auf Andere, von Außen nach Innen“, rät beispielsweise Caspar David Friedrich, und der muss es wissen.
Und so ist Foto- oder Wieauchimmer-Realismus – wie auch jede Fotografie – nur dann kein mechanischer Spiegel, wenn er entscheidend vom inneren Bild eines Geistes getragen ist, der Wirklichkeit künstlerisch-kreativ interpretiert und so eine eigene, die Wirklichkeit des Kunstwerks, erschafft.
„Es ist eine alte Geschichte, doch bleibet sie ewig neu …“ (Na gut, Heine meinte was ganz anderes – oder etwa doch nicht?) Und so reihte sich der Maler Metulczki nahtlos und zunächst unauffällig in die Heerscharen der neu erstandenen Fotorealistengarde ein, wenn da nicht (ä-hm!) das Bier wäre…
Bier??? Und wo bleibt das erhabene Sujet des ernsthaften Realisten?
Und was ist das? Erhaben ist doch wohl das Leben selbst, mal philosophisch-psychologisch-kunstwissenschaftlich seriös gesprochen, wie es eben so ist – in der Gesamtheit des Kleinen ebenso wie des Großen, des Monumentalen oder sogar Monströsen ebenso wie des Partikulären oder sogar scheinbar Banalen, das einander unabdingbar ergänzt – jedes Detail geadelt durch die Bedeutung, die es wie ein Mosaiksteinchen für das unvergleichliche sonderbare Gefüge eines Lebens gewinnt.
Oder wie oder was?
Und dazu gehören ein leckeres Bier mit einem guten Freund (wahlweise natürlich auch mehrere Biere mit mehreren Freunden) und – sagen wir mal – frische Butterbrötchen zum Frühstück oder warme Socken im Winter – ebenso wie die große Liebe zu einem respektive allen Menschen, die Angst vor dem Sterben oder vor Spinnen respektive der nächsten Steuererklärung oder der Kampf für den Weltfrieden! (Und gegenüber Brötchen, Socken, Spinnen und Steuererklärungen hat Bier, zumindestens helles, noch den Vorteil einer unübertroffenen goldgelb leuchtenden appetitlichen Farbe – mmmh, lecker! – und ist damit für Maler und sonstige Durstige eine unausweichliche Herausforderung!)
Der Maler Metulczki hat sich dieser wie manch anderer Herausforderung des Lebens im Großen wie im Kleinen in jeder Hinsicht gestellt, besessen von der Droge Malerei, berauscht von der Farblust, begierig auf die Untiefen hinter der Leinwand: das Welterlebnis als Spiegel des Ich – mit Sprüngen, Rissen, Verzerrungen, blinden Flecken.
Spieglein, Spieglein an der Wand …
Doch Fotorealismus kann nicht genügen, um Metulczkis manische Malwut zu befriedigen – und so lässt er es in unterschiedlichsten Werkgruppen gegeneinander antreten: etwa in den eher bildhaft figurativen Arbeiten zum einen die sanfte soziologische Süffisanz der Biertrinkerstudien oder die ironische Intervention von altmeisterlich vorgetragenen Adaptionen aus der bildungsbürgerlich besetzten Kunstgeschichte, zum anderen den scharfen sozialpolitischen Schock satirischer Alltagsanalysen in Simultanmontagen verschiedener Erlebnisebenen oder in Porträts mit Blick hinter die Maske der Selbstillusion, oder auch in einer anderen Werklinie – den eher informellen, aus der Auseinandersetzung mit den Werten des rein Malerischen entstandenen Werken, oft mit experimentellem Studiencharakter – einerseits in Schwarzweißgrauskalen freirhythmisch strukturierte Architekturassoziationen und andererseits sensibel im Fluß unerschöpflicher Farbtonwerte modulierte expressive Etüden, die spielerisch zuweilen auch ins Figürliche herüberwachsen können.
Unübersehbar ist Anlass und auch Motiv immer hautnahes eigenes Erfahren und Erleben von Welt in ihrer unfassbaren und oft auch unlösbaren Widersprüchlichkeit, wo Wut und Witz, Hass und Hoffnung an jeder Straßeneckeaufeinanderprallen – und eben auch in dieser nach allen Richtungen hin noch offenen, suchenden bildnerischen Handschrift.
Verbündet scheinen die Gegensätze in der noch jungen Reihe von sogenannten Fensterbildern. Klar und perfekt gemalte Rahmen fassen, was nicht wirklich zu fassen ist: in der Seele gesehene Momente als pars pro toto vom Universum – das individuelle Erlebnis dessen zwischen Himmel und Erde, was sich unsere Schulweisheit nicht träumen lässt – die Sehnsucht nach der Welt hinter allen Fensterscheiben und Leinwänden.
Und was will Kunst denn anderes? Und was wollen Künstler denn anderes? (Außer gelegentlich ein gutes Bier zu trinken?) Eben.
„Was schlimm ist: … Bei Hitze ein Bier sehen, das man nicht bezahlen kann …“ (Gottfried Benn)
2006 | Dr. Jutta Lindemann