Aquarelle von Manfred Aurich

Dresdner Bank 2009

„Die Beschäftigung mit der Aquarellmalerei blieb für mich immer ein besonderes Hobby, das es mir erlaubt, bei der Arbeit zu ‚träumen‘ und zu experimentieren. Es stimmt mich froh, wenn sich die Farbpigmente mit dem Wasser auf dem Papier so verbinden, dass sich lasierend zarte Farbklänge ergeben und Kontraste im Hell-Dunkel entstehen, die das Auge erfreuen.“ (Manfred Aurich)

 

Der besondere Zauber des Aquarells hält den ehemaligen Gebrauchswerber, Plakatmaler, studierten Diplomlehrer für Kunsterziehung/Deutsch und Lehrausbilder für Gebrauchswerber, der schon als Kind ohne Malen und Zeichnen nicht sein konnte und heute noch als Grafikdesigner tätig ist, seit Jahrzehnten gefangen.

 

Den reichen Gestaltungsmöglichkeiten dieser Technik kommen gerade die Themen entgegen, die Manfred Aurich durch das riesige Spektrum ihres Ausdrucks immer wieder in ihrem Bann ziehen und auf den ersten Blick in eine eher konventionelle Bildsprache gefasst erscheinen: die sanft welligen Landschaften der Thüringer Wahlheimat des gebürtigen Chemnitzers, aber auch die saftig grünen Hügel Irlands oder die kühle Strenge nördlicher Seen und Wälder, da es ihm wichtig erscheint, die Menschen zu mahnen, diese reine Schönheit zu erhalten. Damit sieht er sich auch in seiner Bildauffassung im positiven und engsten Wortsinn als konservativ. Doch gerade darin liegt ihre innere Ruhe und Stärke.

 

Nicht zufällig tauchen in seinem Ouevre immer wieder auch Wurzeln auf – erdschwer aus dichten Strichlagen und fast pastos aufgetragenen Farbschichten mit Moorlauge im Geist alter Sepiazeichnungen gemalt und damit bewusst die Grenzen der Aquarelltechnik überschreitend.

 

Im Aquarell verbinden sich Entschiedenheit mit Unbestimmtheit, klare Konturen und Kontraste mit weich verfließender Tonigkeit.

 

Den faserigen Säumen der vom feuchten Fond aufgesaugten Farbflächen stehen auf trockenem Papier glashart gezogene Kanten gegenüber. Und auf dem Weiß des körnigen Aquarellpapiers tritt aus einer eher verhaltenen Grundfarbigkeit die spezielle Leuchtkraft der transluziden Aquarellfarben vor allem als Akzent bezwingend kraftvoll hervor – auch deshalb, weil der Farbfleck des Aquarells, entstehend aus sich sichtbar im Wasser lösenden Pigmenten, von unübertroffener Plastizität und Tiefe ist.

 

Eine ganz besondere Rolle spielt darüber hinaus noch vor dem ersten Pinselstrich das für Aquarell charakteristische genau überlegte Aussparen des weißen Grundes, der hier funkenartig aufblitzt und dort großflächig strahlend hervorleuchtet. Deshalb aber muss das Bild gewissermaßen von unten nach oben oder von hinten nach vorn aufgebaut werden, es wächst vom Blatt Schicht über Schicht erkennbar auf uns zu.

 

Wer aquarelliert, verfolgt daher konsequent – denn nachträgliche Korrekturen sind nicht möglich – ein klares Bildkonzept, das ihm jedoch zugleich spielerisch-experimentelle Seitensprünge nicht nur erlaubt, sondern sogar abverlangt. Daraus entsteht eine unverwechselbare bildnerische Spannung zwischen malerisch-mystischer Ambivalenz der sanft farbig modulierten in- und übereinander fließenden Farbflächen einerseits und rationaler Beherrschtheit der grafischen Linienstruktur zum anderen.

 

Daher interessiert Manfred Aurich die Landschaft auch eher als ein Reich der Zwischenwelten und weniger am sonnenstrahlenden, schattenlosen Mittag: Abenddämmerung, Zwielicht, die Stunde zwischen Tag und Traum, Bäume im Morgennebel und matten Winterlicht oder unter Regenschleiern sind häufige Motive, aber in starkem Gegensatz dazu auch zunehmend Blumen in eigenwillig kraftvoller Selbstbehauptung. Die drei hier vorgestellten großzügig-dynamisch aufgefassten Mohnstudien befinden sich bereits auf dem Grenzweg zur Abstraktion: Vor allem dem Ziel einer ästhetisch getragenen Komposition unterworfen gliedern fast kalligraphisch anmutende Linien die leuchtenden Farbflächen, die auf Räumlichkeit und Körperlichkeit bewusst verzichten.

 

Die liebevoll gesehenen unverstellten Landschaften dagegen scheinen an eine nicht ausdrücklich so bezeichnete, doch uns allen vertraute Thüringer Schule anzuknüpfen, die von Persönlichkeiten wie Otto Knöpfer, Otto Paetz und Gottfried Schüler ebenso getragen werden wie in neuerer Zeit beispielsweise von Friedrich und Sabine Rittweger.

 

Auf spezielle Weise prägen neben schwingenden Horizonten charaktervolle Himmel entscheidend diese Landschaftsporträts: Licht bricht durch schwer lastende Wolkenbänke, Wind treibt dahinjagende Regenwände, und doch schwebt spürbar über allem die ruhevolle Ewigkeit des Universums und gibt letztlich auch uns über die Kunst diese innere Ruhe.

 

So werden Landschaften zugleich auch zu Seelenbildern, Psychogrammen individueller Befindlichkeiten.

 

Eine besondere Rolle in diesem Oeuvre nehmen die Arbeiten mit Moorlauge ein, die an historische Rembrandtsche Sepiastudien ebenso erinnern wie an verbleichende hundertjährige Fotos in den Alben unserer Großeltern. Die Möglichkeit unterschiedlicher Pigmentdichte lässt gerade hier eine räumliche Tiefe bis hin zum Verschmelzen mit dem Bildhintergrund gewinnen. Unbeeindruckt vom Farberlebnis konzentriert zudem das tonige Braun die Aufmerksamkeit stärker auf Komposition, Texturen und zeichnerische Details. Doch die großen Formate befreien die Handschrift von jeglicher Kleinlichkeit.

 

Mit dem Künstler begeben wir uns auf die sehnsuchtsvolle Suche nach Offenheit und Weite der fernen Horizonte, doch zugleich nach Geborgenheit zwischen Bäumen und Bergen. Wir reisen mit den Augen in einem Wechselbad der Gefühle durch diese glasklar farbschimmernden Welten – zumeist, wie typisch für das Aquarell, durch Blau-Grün-Nuancen, mit gelegentlich rot-gelb glühenden Modulierungen.

 

Und wir erleben ganz neu die Bedeutung von Klarheit und Konsequenz, von Bewegung und Beherrschung, Spannung und Erlösung. Wie sehen uns mit anderen Augen in unserer Welt um. Und es erwacht unsere Phantasie …

 

Eine Ausstellung der Mitglieder seines Aquarellkurses trug den programmatischen Titel „Aquarellieren ist wie Träumen“.

 

Aber ich denke, es ist noch mehr: Träume sind vergessen, wenn wir erwachen – doch die Kunst bleibt und schafft in uns und um uns neue Welten von Bestand.

 

Erfurt, 10.09.2009 | Dr. Jutta Lindemann