Von Bäumen und Brücken und einer OP am offenen Herzen

Von Bäumen und Brücken und einer OP am offenen Herzen

Von den 60er Jahren an, als ich noch als Studentin mit dem Zeichenblock durch die Altstadt spazierte, bis vor wenigen Wochen war Erfurt meine Traumstadt. Als Erfurtbotschafterin habe ich jahrelang meine Begeisterung von dieser idealen Mischung historischer Architektur mit lebendiger Pflanzen- und Tierwelt voller Überzeugung auch über unsere Landesgrenzen tragen können, und alle meine ehemaligen Kommilitonen taten es mir gleich, erfreuten sich außerdem immer wieder bei unseren regelmäßigen Treffen am Aufblühen unserer geliebten Studienstadt wie viele weitere Freunde und Besucher aus allen Regionen unseres Landes. Jetzt aber sehe ich voll Trauer und Wut aus meinen Fenstern auf der Krämerbrücke – meinem endlich erreichten Wunschwohnort im Herzen meiner Traumstadt – denn grün ist es im Herzen der grünen Mitte Deutschlands inzwischen mitnichten! Und mich erreichen Mails und Briefe von ebendiesen Kommilitonen, die das aktuelle Geschehen mit Entsetzen verfolgen und auf den Verstand der Erfurter hoffen!

 

Habt Ehrfurcht vor dem Baum, er ist ein einziges großes Wunder, und euren Vorfahren war er heilig."

- Alexander von Humboldt -

 

Denn eine Sanierung rings um die Brücke war längst überfällig – aber das??? Baumkahlschlag, roter Schotter und metallisch blaugraue wuchtige Betonringe um die zwei verbliebenen Bäume am Ufer der Nordseite, eine halbseitige Schotterpiste (für Feuerwehrübungen?) auf der einst idyllisch grasbewachsenen Breitstrominsel – selbst die Enten, deren friedliches Schnattern unsere Sommer ebenso begleitete wie das abendliche Tirilieren eines Amselmännchens auf der Spitze des inzwischen ebenso wie vor Jahren der kleine Apfelbaum am Ufer gefällten hundertjährigen Birnbaumes – haben nun keine geschützten Brutbereiche mehr in den radikal entkernten Uferböschungen und sind fast alle aus dem Umfeld der Brücke geflüchtet. Und das Ganze, unsensibel für die Spezifik dieses magischen historischen Ortes, der ansonsten von den warmen Tönen alter Sandsteinmauern geprägt wird, nun einem UFO-Landeplatz ähnelnd und wohl eher der Selbstdarstellung selbst behaupteter „moderner“ Bauauffassungen verpflichtet als in Achtung vor der Historizität der Via regia und der noch erhaltenen Bausubstanz wie etwa des Alten Hospitals in die Landschaft geschmettert, stellt wohl zugleich die Schreckensvision dafür dar, was uns dann südlich der Brücke erwartet, wenn dort für die „dringenden“ Erfordernisse (vier bis sechs weitere Buden?) von zwei ohnehin längst überdimensionierten Stadtfesten pro Jahr (oder gar drei?) der nächste Baum-Kahlschlag Baufreiheit schaffen soll für einen weiteren überflüssigen, weil für den Rest des Jahres leeren Platz mitten auf der neuen Brücke (zwischen zwei bereits vorhandenen Plätzen!) statt einer mit 8-9 Metern Breite auch für Notfahrzeuge noch völlig ausreichenden, dafür aber baumgesäumten Radfahrer- und Fußgängerbrücke.

Ach ja – völlig vergessen – Touristen wollen ja baumfreie Fassaden fotografieren!!! Allerdings haben alle Touristen, die ich kennengelernt habe, gerade die Kombination von historischer Architektur und Altbaumbestand als besonders fotogen empfunden – schon seltsam! Die einzigen, die allerdings seit Jahrzehnten immer mal wieder die Altstadtinseln rasieren wollen, sind Mitarbeiter der städtischen Bauverwaltung … Klar, das spart Arbeit und Geld! Aber Häuser werden für Bewohner gebaut und nicht für Architektenblicke. Und Bewohner schätzen das kühle frische Klima, das eine gesunde Bepflanzung in den zunehmend im Sommer aufgeheizten Innenstädten erzeugt, schätzen die optische Beruhigung der Augen durch das besonnte Grün, schätzen die natürliche Besiedelung mit spezifischer Innenstadtfauna (Reiher! Eisvögel! 20 Fischarten!), erfreuen sich an Vogelgezwitscher und Entengeschnatter – nicht zufällig haben Touristen dieses Umfeld der Krämerbrücke immer wieder mit Süddeutschland (Städte rund um Nürnberg machen das vor!) und Italien verglichen.

Und vergleicht man, wie auch ich es tat, die Erfurter Krämerbrücke tatsächlich mit Ponte Vecchio in Florenz, der Rialtobrücke in Venedig und der ebenfalls bebauten barocken Pulteney-Bridge im südenglischen Bath – so trug bisher nicht nur in meinem Herzen die ringsum begrünte Krämerbrücke die Palme davon!

Doch das alles wird derzeit verantwortungslos aufs Spiel gesetzt, nicht nur zur Verzweiflung und Wut der Brückenbewohner, sondern vieler Erfurter, die sich die ästhetische Sensibilität für das Herz ihrer Stadt bewahrt haben. Vielleicht kann eine üppige, gut zu pflegende Bepflanzung die Modernisierungs-Wut auf der Nordseite der Brücke noch etwas mildern, und vielleicht gibt es doch noch ein Nachdenken im Rathaus über eine Gestaltung der Südseite, die den Bäumen und uns Bewohnern mit ihnen gemeinsam weiterhin eine Chance auf ein freundliches, gesundes Innenstadtklima gewährt? Vielleicht kann der Blick auf die BUGA 2021 mehr Raum für grüne Nachhaltigkeit in unserer Stadt auch in den Köpfen der Politiker schaffen? Ich bitte sehr darum!!!

Meine Traumstadt hat irreparable Wunden erhalten, aber noch ist Heilung einiger davon möglich, noch können weitere Verluste verhindert, noch kann das einmalige Ensemble aus Gebautem und Gewachsenem wenigstens teilweise erhalten werden! Alle anderen Argumente, die meines Erachtens vor allem dazu dienen, von der offenkundigen Schuld für inzwischen nachgewiesen fehlerhaftes Vorgehen und mangelnde Bürgerbeteiligung abzulenken, haben gegen den klaren Blick darauf, welche dauerhaften Schäden bei dieser Operation am offenen Herzen der Stadt vermieden werden können, kein Gewicht! Denn es ist einfach unglaubhaft, dass eine Neuplanung eine mehrjährige Verzögerung und Kosten in der behaupteten Höhe nach sich ziehen!

Bitte denkt nach! Bitte rettet das grüne alte Herz unserer Stadt! Bitte stellt Euch auf unsere Seite!!!

Für unsere Bäume, für unsere Brücke, für unsere grüne Stadt!!!

Erfurt, 11. März 2015

Dr. Jutta Lindemann

Weitere Informationen: www.stadtbaeume-statt-leerraeume.de

Die Nordseite der Krämerbrücke während der Bauarbeiten.

Alle gelb mar­kier­ten Groß­bäume im Umfeld der Krä­mer­brü­cke sind seit 2006 bereits gefällt wor­den. Über die blau mar­kier­ten wird der Stadt­rat noch ent­schei­den. Über die 4 rot mar­kier­ten hat er am 15.4.2015 entschieden.

Quelle: www.stadtbaeume-statt-leerraeume.de