Nicht erst seit Harrison Ford sind Schatzsucher (und vor allem natürlich -finder) Helden der Weltgeschichte. Oder gab es einen spannenderen Augenblick als den, in dem der künftige Graf von Monte Christo den Deckel der Schatztruhe hob? Unzählige Sagen und Märchen aus urdeutschen Wäldern kulminieren genau darin, aber auch die Weltmeere zwischen Ostsee und Karibik wimmeln nur so von potenten Piraten mit Drang zum Glitzerzeug, und um den alten Vater Rhein von seiner Last zu befreien, wird (bis heute vergeblich) sogar die hehre Opernkunst bemüht.
Darüber könnten Erfurter nur müde lächeln, denn die stadteigene Schatzkarte weist deutlich in eine Richtung: In den Katakomben des Angermuseums harrt eine bundesweit einmalige Sammlung zeitgenössischen Schmucks des rechten Zauberworts, um endlich ans Licht der Öffentlichkeit gehoben zu werden.
Und im Gegensatz zu Piratengold und Sagenschätzen sind diese Preziosen nicht etwa illegal zusammengerafft, sondern entweder klug erworben, zum Beispiel aus geförderten thematischen Schmuckwettbewerben der DDR, oder (und vor allem) hier in der Stadt entstanden, geschaffen über Jahrzehnte von deutschen und internationalen Schmuckkünstlern, die zunächst in den Ateliers der drei Erfurter zu Gast waren, in deren Köpfen die Idee zu diesen zweijährlichen Arbeitstreffen vor sagenhaften 24 Jahren gewachsen war – zehn erfolgreiche Jahre später und nach Atelierraumverlusten seit 1994 mit dem dann hinzu gekommenen Stadtgoldschmied in den städtisch getragenen Künstlerwerkstätten.
Von Anfang an gab es weitsichtige Leute in Stadt und Land, die das Wachstum des Schatzes beförderten, und auch heute noch könnte er sich stetig mehren, denn das Erfurter Schmucksymposium gibt es dank engagierter Partner wie etwa dem Verband Bildender Künstler Thüringen, der Stadt Erfurt, dem Thüringer Kultusministerium, der Sparkassenkulturstiftung und seit diesem Jahr dem Erfurter Kunstverein noch immer.
Nach den Begründern Uta Feiler, Rolf Lindner und Helmut Senf, der nach Wegzug von Bernhard Früh ersetzt wurde, hat inzwischen mit Felix Lindner, Heike Gruber, Nina Klatt-Starke und der Stadtgoldschmiedin 2007 Helen Britton eine neue Generation die Regie übernommen. Neue Sichten auf Schmuck als zeitgenössische Kunstform halten die vom ersten Tag anhaltenden Diskussionen um das Symposium lebendig, regen auf und an – und fast so, wie um die großen Schätze der Geschichte Mythen und Legenden wuchsen, geht inzwischen der Ruf des Symposiums wie auch der Stadtgoldschmiede und damit Erfurts als Schmuckstadt hinaus in die internationale Kunstwelt. Und sollte der Schatz aus dem Museumsdepot einmal das Tageslicht dauerhaft erblicken, könnte das nicht nur den Ruhm der Stadt weit über ihre Grenzen hinaus mehren, sondern auch den Stolz der Bürger auf die kostbaren Trophäen in ihren Mauern.
Die Ausstellungsorte für die Ergebnisse der inzwischen 13 Symposien (ein „Zwischenspiel“ 2004 wurde nicht offiziell mitgezählt) mit über 100 Teilnehmern aus 75 Ländern wechselten ebenfalls: von der Medizinischen Akademie, dem Angermuseum und der dazugehörigen Barfüßerkirche über den Kulturhof Krönbacken bis zum Renaissancesaal der Kunsthalle in diesem Jahr.
Doch Ankäufe für die Sammlung im Angermuseum wurden seit dem 10. Symposium leider nicht mehr getätigt. Es ist zu hoffen, dass bald nicht nur diese Lücke geschlossen, sondern mit der Kollektion auch ein unvergleichliches Stück Kulturgeschichte dauerhaft und für alle zugänglich präsentiert wird.
Die Begegnung internationaler Größen der Politik aus West- und Osteuropa wie Napoleon und Zar Alexander an diesem Ort aus Anlass des Fürstenkongresses 1808 inspirierte 200 Jahre später zu ungewöhnlichen Assoziationen und Reflexionen des Zeitgeistes, aber auch zu aktuellen Parallelen, denn gerade das Spannungsverhältnis zwischen Macht und Elend, Glanz und Tod lässt sich im Schmuck seit jeher eindringlich symbolhaft visualisieren.
Unkonventionelles Herangehen an den Schmuckbegriff und kreativer Umgang mit alternativen Werkstoffen – seit jeher Markenzeichen des Erfurter Schmucksymposiums, nicht nur aus der Not geboren, sondern vor allem aus einem aufmüpfig gefärbten Spieltrieb und ebenso lange auch immer wieder produktiv umstritten in der Rezeption (Ist denn das noch Schmuck? Dürfen die denn das?) – prägen auch die Resultate des diesjährigen Treffens ost-, west- und außereuropäischer Schmuckkünstler.
Brune BOYER-PELLEREY (Frankreich)
zelebriert im leer bleibenden Spiegel eines großzügig herben Gemmenrings („Gold gab ich für Eisen …“) ein Versprechen auf künftige Visionen von Gesichtern, die allein unser Gedenken aus den Bildwelten der Vergangeheit heraufbeschwört.
Helen BRITTON (Australien/Deutschland und Erfurter Stadtgoldschmiedin 2007)
erzählt in Fotos und einem Arrangement filigraner Sticker ein melancholisches Märchen von Verlust, Trauer und Sehnsucht – als Gleichnis für eine Politik, die den einfachen Menschen täglich in tragische Schicksale stürzt und sich selbst daneben ungerührt mit den funkelnden Insignien ihrer Macht schmückt.
Laura DEAKIN (Australien)
gräbt skizzenhafte Erinnerungsspuren längst vergangener Ereignisse in bruchstückartige Schiefer- und Keramikscheiben für Ohr- und Halsschmuck – Adlerfedern, Epauletten, Orden weisen auf verflossenen Ruhm – sic transit gloria mundi.
Nina KLATT-STARKE (Deutschland)
thematisiert in ihren Ketten die Kluft zwischen Prunk und Armut, Überleben und Sterben, Siegern und Verlierern von Politik durch das Nebeneinander von Edelsteinenbündeln und aus dunklem Silber geformten Samenkapseln – Assoziationen zu Munition sind kein Zufall.
Rudolf KOCEA (Deutschland)
prägt und schneidet überlieferte Symbole und Bilder der Begegnungen von welthistorischer Bedeutung mittels Relief- und Ajourverfahren für schwere Armreifen in massives Silber, begleitet von winzigen satirischen Porträtbüsten der Beteiligten – ironische Steckbriefe von Tätern?
Jun KONISHI (Japan)
stürzt mit Orden aus Abfluss-Stöpseln den militanten Ehrbegriff vom Sockel, belustigt sich über das hergebracht theatralische Begrüßungszeremoniell zweier kettenverbundener Plast-Mickymäuse (Goethe & Napoleon?) und nimmt die nahrhaften Machtinsignien des okkulten Thüringer Königtums Bratwurst und Brötchen (Zepter & Reichsapfel?) aufs Korn.
Felix LINDNER (Deutschland)
spürt den Schatten der Vergangenheit in fein ziselierten Initialen von historischer Provenienz, doch seit Jahrhunderten verschollener Identität nach, in ihrem repräsentativen Anspruch nivelliert durch funktionale synthetische Werkstoffe der Neuzeit.
Suska MACKERT (Deutschland)
reflektiert Schmuckanlässe und -situationen, um daraus Schmuckinszenierungen zu entwickeln: Aus Fotos zeitgenössischer Politikertreffen werden serviettenartig leicht vergängliche Papier-Kokarden gefaltet – ein Hutschmuck der französischen Revolution, den Napoleon durch Europa trug – und eine Buchinstallation akzentuiert den historischen Text durch ästhetisch und inhaltlich wohldosierte Erinnerungslücken.
Marc MONZÓ (Spanien)
schneidet kostbare Goldbleche in bis zum Understatement schlichte Formen, die ihr an alte Ordenssterne erinnerndes sonnengleich brillantes Strahlen durch verhaltene Faltungen des edlen Materials erreichen.
Adolfas SAULYS (Estland)
zeigt an sensibel formulierten skulpturalen Objekten, auf deren Oberflächen Papiere aus antiquarischen Büchern einander Schicht um Schicht überlagern, dass die vermeintlichen Rosinen im Kuchen der Geschichte und der Politik wie Seifenblasen zu zerplatzen drohen, wenn sie sich unverhältnismäßig hohl aufblähen.
So weit, so gut. Oder ist das alles vielleicht doch ganz anders gemeint? Der Vorhang zu und alle Fragen offen? Und nun? Was tun?
Es gibt nur einen Weg: Ahoi, Freibeuter aller Länder – die Segel gesetzt, den Kompass auf Schatzkurs, den Blick aus den Tiefen der Geschichte auf den Horizont und das nächste Erfurter Schmucksymposium gerichtet und unbeirrt die Flagge der Kunst gehisst!
Erfurt, August 2008 | Dr. Jutta Lindemann