Schmücke dein Heim

Begrüßung zur Vernissage im Vorderhaus Krönbacken am 11.09.09

„Hauptsache gemütlich!“ titelt das „Magazin“ 09/09 als Editorial einen relativ ernsthaften Essay übers Wohnen und behauptet darin:

 

„Unser Instinkt lässt uns seit Urzeiten nach Orten suchen, in denen wir Behaglichkeit und Schutz finden. Wo man sich wohl und sicher fühlt. Was einst in Höhlen begann, hat sich wie eine genetische Programmierung festgeschrieben: Wir brauchen eine Trennung, eine Grenzziehung zwischen privaten inneren Räumen und der vagen Welt da draußen.“

 

Wohnen ist elementar wie Essen, Trinken – und (da war doch noch was?) …

 

Auch wer nicht will, wohnt irgendwie – selbst der Beduine im Ziegenhaarzelt, das mit ihm immer mal seinen Standort wechselt, denn pausenlos wandern – das hält auch der stärkste Nomade nicht durch!

 

Aber Nomadisieren wird im sogenannten zivilisierten Westen gerade wieder Trend (über Ursachen ließe sich trefflich grübeln), allerdings statt mit Ziegenhaar- oder auch wenig winterfester Baumwolllaube neuerdings mit durchdesignten Alu- oder preislich gehobeneren Edelstahlcontainern – vorausgesetzt, man kriegt für den Ort seiner Wahl eine temporäre Aufbaugenehmigung …

 

Träumen von Räumen gehört für mich noch heute zum normalen Schlafprogramm, und vom offenwandigen Fachwerkrondell mit umblühten Mittelspringbrunnenidyll (dem ich beim Aufwachen nachweinte) über abenteuerliche Altbaulabyrinthe mit ungezählten und vollgerümpelten Plunderablagehöhlen bis hin zu lichtdurchfluteten vollautomatisierten Glasmaschinerien mit Showbühneneffekt für neugierige Nachbarn war schon alles dabei.

 

Sigmund Freud lässt grüßen.

 

Mal mehr, mal weniger ernsthaft schlagen sich auch Künstler mit diesem Phänomen herum. Sechs davon, alle in der nunmehr grenzenlosen Rhön, dem Bermudadrei(länder)eck der Kunstgeschichte, beheimatet sowie nicht ganz paritätisch beiderlei Geschlechts, haben sich unter dem kategorischen Imperativ „Schmücke Dein Heim!“ zu dieser Ausstellung zusammengerauft und so ganz nebenbei auch noch eine spirituellen Kontakt zum genius loci oder auch zu unserem geheimnisumwitterten Hausgeist KRÖN aufgebaut. Denn der hat noch erlebt, wie Waidhändler zwischen geschnitzten Holzstützen und gewebten Wandteppichen lebten und arbeiteten und zwischen diesen Mauern stolz vorzeigten, was sie sich leisten konnten.

 

Lebst du noch oder wohnst du schon? Oder: Zeige mir, wie du wohnst, und ich sage dir, wer du bist! Lebens- und Wohnraum als materialisierte Psychoanalyse … Wohnen als permanente Therapiesitzung?

 

Zumindest zunächst formale Korrespondenzen nehmen die rauh aus Holz gehauenen ewig blühenden Anemonen von Jan Polacek mit dem Raum auf, die alten Gobelins sind wild und widerborstig interpretiert in expressiv gemalten Tableaus von Uwe Harreck, beide „Zug’reiste“ aus Bayern. Und auch Ahnenporträts lassen sich huldvoll zu uns herab, allerdings wider alle patriarchalische Traditionen nur von den Damen des Hauses. „Und drinnen waltet die (mehr oder weniger) züchtige Hausfrau“ inmitten bunter Blasen davonschwebender Illusionen, umgeben von den Insignien der häuslichen Gewaltenteilung, in zünftiger Glätte, frisch frisiert, solariumgebräunt und burdagestylt ins Bild gesetzt von der Thüringerin Gudrun Dittmar. Sogar ans Tafelsilber geht’s, denn edle Gerätschaften erinnern an die guten alten Zeiten üppiger Banketts an Patriziertischen, nun wahlweise aus Sprelacart oder Resopal in der Plattenbau-Esskabine: Liebliches Drechselwerk mit Raachermanndl oder als allseits beliebte Kerzenhalter oft und lang missbraucht, goldblinkend eloxierte Alurohrskulpturen, die ihre ehemals so nutzbringende Tischdienerschaft als Weinflaschen- und Serviettenhalter durch kunstgemäße Sockelstandplätze zu verleugnen suchen, rückt Mia Hochrein aus Bayern in unser Blickfeld.

 

Spätestens hier jedoch bricht ein böses Kichern sich unaufhaltsam Bahn.

 

Die Hausfrau pfeift „Du hast mein Knie geseh’n!“ durch die goldplombierten Zähne (soviel zum Thema „züchtig“!) und räumt die MLE-Gesamtausgabe aus dem MDW-Regal: Ab damit auf den Sperrmüll zu Polaceks Abgesang auf den verpassten Aufbruch in die lichte Zukunft! Oder??? „Schöner wohnen“ als neue Lebensphilosophie?

 

In der postmarxistischen Phase des absterbenden Sozialismus werden mit Mia Hochreins Hilfe zwar die Alpen wunschtraumgemäß vom Sofabild zur Urlaubs-Realität, aber statt zum Wasserschloss reicht‘s doch wieder nur zum Wohnmobil – „Kleines Haus am Wald“ aus Polyester mit Alugestänge als Symbol der endlich errungenen „Großen Freiheit“ (Nr. 7)? Jan Polacek springt ihr bei und läßt den Teufel aus dem Kasten: Zuckerbunte Sahnetörtchen wie von Koppenrath & Wiese oder schnittige Eistüten nicht aus dem Hause Langnese, sondern aus der Werkstatt Polacek, an denen wir uns die Zähne ausbeißen, begleiten uns auf dem Weg in eine rosalilalindgrüne Werbetraumwelt, die dem Pinsel des Bayern Stephan Winkler entflossen ist und uns lieblich einlullt.

 

Doch die Hessin Jana Schwarz lässt pastellsüße Wohnwünsche zu nachtdunklen Alpträumen und die Sehnsucht, all die brav zutapezierten Wände aus kaltem Stein niederzureißen, übermächtig werden.

 

Aber unsere Füße kleben im Alltag und die Startrampen verwirren sich in ausweglose Labyrinthe – schon wieder so viel vergebliche Hoffnung – uns bleibt wie immer nur ein Fensterplatz der Geschichte. Oder???

 

Wir rollen uns wie Jan Polacek voll Abwehr zur Igelkugel, blutende Blütenwunden als Hilferuf nach außen gerichtet – Lebensraum bleibt nur noch in unserem tiefsten Inneren.

 

Und an allem sind wir selber schuld! Oder???

 

Ich höre es förmlich, wie sich der genius loci in Gestalt unseres hochverehrten, 800 Jahre alten Hausgeistes KRÖN ins Fäustchen lacht – er darf nun vier Wochen lang in all den Geheimnissen hausen, ihnen in aller Ruhe auf den Grund gehen und gelegentlich nächtens dunkle Spielchen spielen. Daher also das böse Kichern …

 

Denn ob Schneckenhaus, ob Schloß: „Das Leben ist kein Südbalkon“, weiss das Magazin, und „wo viel Licht ist, ist starker Schatten“, musste auch ein in seiner Wahlheimat Thüringen zum Klassiker gewordener Dichter und Denker erfahren (ja, es ist das andere Zitat aus dem Götz von Berlichingen!).

 

Genau darum ist es wichtig, dass man Leben in die Bude bringt – und das ist dem Sextett aus dem Mutterland der Rhöntropfen wahrlich unübersehbar gelungen!

 

Wie formulierte Helmut Kohl so unvergesslich? „Entscheidend ist, was hinten rauskommt!“ Und wenn nur ein einziger Vernissagenbesucher heute abend zuhause ein einziges Stehrümchen zu Kunst verwandelt, ist eine Welt gewonnen!

 

In diesem Sinne, Brüder (und natürlich auch Schwestern), zur Sonne, zur Freiheit, Brüder (und natürlich auch Schwestern) zum Lichte empor!

 

„Hell aus dem dunklen Vergang’nen leuchtet die Zukunft hervor!“

 

Denn: „Wenn die anderen glauben, man ist am Ende, so muß man erst richtig anfangen.“ (Unfassbar, aber das ist von Konrad Adenauer!)

 

Erfurt, 11.09.09 | Dr. Jutta Lindemann