Erfurt lebt Farbe

Malschule zum Lutherjahr – 03.04.2010

Lutherjahr in Erfurt? So eine verzwickte Aufgabe – ist denn das was für Kinder? Das kann ja heiter werden! Muss man da Mönche malen?

 

Eine gehörige Portion Skepsis schien angesagt, denn das Thema ist schon ganz schön sperrig, alles was recht ist!

 

Aber die Truppe um Andreas Jäckel, der selbst Malerei und Collagen unterrichtet – Katharina Häfner (Malerei, Holzschnitte), Michael Papst (Malerei), Ariane Mees (Holzobjekte), Andy Bauer (Malerei, Aktzeichnen) und Nadine Wottke (Material- und Linoldrucke, Steinobjekte) – läßt sich nicht ins Bockshorn jagen – und wenn tausend Teufel mit tausend Tintenfässern werfen sollten, würden sie sie wahrscheinlich auffangen und die Tinte zum Zeichnen benutzen …

 

Also haben sie zwar gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen der Erfurter Malschule im Alter zwischen 5 und 19 Jahren in unsere Geschichte geblickt, aber von dort aus gleich in großem Bogen in die Zukunft und haben sich in rund 350 Bildern, Skulpturen und Objekten (von den ca. 140 hier zu sehen sind) im wahrsten Sinne des Wortes ausgemalt, wie wohl Luther und seine Zeitgenossen sich unsere Stadt und unsere Welt erträumt hätten und wie wir sie mit unseren Kräften gestalten könnten: bunt leuchtend und lebendig im harmonischen Miteinander von Menschen, Tieren und Natur – und die Gottheiten der Christen, Juden, Muslime und sogar des Hinduismus in unterschiedlicher Gestalt und Form blicken wachsam und fröhlich auf alles herab.

 

Es gibt Erstaunliches zu entdecken:

 

Große vielarmige Leuchter tragen Licht ins Dunkel, auf weißem Papier wachsen märchenhafte Landschaften heran, neben den uns vertrauten freundlichen Giraffen, Kakadus, Fledermäusen, Stieren oder Fischen brausen wilde Ungeheuer, aber auch tierisch lebendige Flugzeuge über den Himmel, und eine bunte, lustige Stadt ist scheinbar aus dem Boden gewachsen – mit phantastischer Architektur, die man immer wieder spielerisch verändern kann.

 

Entstanden ist sie wie alles andere durch unzählige Köpfe und Hände, die erst im Miteinander ihre kreative Kraft entfalten und sich daher auch in einer geradezu monumentalen Wandgestaltung vereint wiederfinden. Da hat wahrlich alles Hand und Fuß – und Köpfchen noch dazu!

 

Den Mal-Schülerinnen und –Schülern stehen dank guter, vielseitiger Lehrerinnen und Lehrer aber auch alle Waffen der Kunst zu Gebote, um ihren Träumen in Luthers Namen Gestalt zu verleihen:

 

die zarte, aber präzise Bleistiftzeichnung, die Konzentration und Aufmerksamkeit ebenso fordert wie eine sichere Hand, der flink entstehende, ambivalente Materialdruck, der vielen Deutungen Raum gibt, der streng im Hell-Dunkel konzipierte und mühsam umzusetzende Holzschnitt, das pudrige Pastell, das die Farbpigmente rein leuchten lässt, weil Mischungen kaum möglich sind, das gläsern transparente Aquarell, das locker wie Seide auf dem Papier schimmert, aber ein klares Konzept voraussetzt und das sichere Gefühl für das Aufhören, die energische, kraftvolle Malerei mit Deckfarben wie Acryl, die Experimente beim Mischen und Schichten zulässt, am besten aber auch von einer dynamischen, spontanen Pinselführung lebt, die Collage, die Materialien aus dem Alltag, die auf einmal ganz andere Bedeutung und neuen künstlerischen Ausdruck bekommen können, in die Bilder einfügt, und schließlich das plastische und räumliche Arbeiten mit geduldig erarbeiteten Specksteinminiaturen und Installationen, die Körperhaftigkeit und Rauminszenierung als komplexeste Kunstform erproben, die alle anderen bildnerischen Elemente miteinander zu völlig neuen Sichtweisen verbinden.

 

Verblüffend aber sind auch die so unterschiedlichen Handschriften und Variationen, hinter denen die Anregung durch die Lehrer zwar spürbar ist, aber auch deutlich zugunsten der Kinder zurücktritt.

 

So überzeugt die gesamte Ausstellung durch ihre phantasievolle Einheit der Vielfalt von Themen und Techniken, Gedanken und Gefühlen, Individuen und Ideen vom Grundanliegen der Erfurter Malschule für diese zwei Themenjahre, Luther und seine Zeit in der Fülle ihrer Inspirationen, aber auch mit ihren Schattenseiten und ihren Visionen von einem neuen, besseren Leben für uns über die magische Brücke der Kunst lebendig werden zu lassen. Das ist aber natürlich auch eine anspruchsvolle Herausforderung an uns, den Träumen unserer Vorfahren mit unserem Denken und Handeln gerecht zu werden.

 

Ein farbiges, lebendiges Erfurt, wo Luther noch Leid und Schmutz sah, immer wieder ankämpfen gegen das Dunkle aus der Vergangenheit und in der Gegenwart für die Zukunft – das wollen Kinder. Wir können und müssen ihnen dabei helfen – und nicht zuletzt auch Kunstprojekte der Malschule tragen seit über 20 Jahren dazu bei, ein neues, sensibles Verhältnis zum Leben als eine wichtige Voraussetzung dafür entstehen zu lassen.

 

Und es wird weitergehen: Die ersten Gedanken für eine Fortsetzung des Projekts im nächsten Jahr nehmen schon Formen an …

 

Sicher scheint mir, dass in der Malschule dabei auch weiterhin Luthers Wort gilt: „Sollen wir Kinder erziehen, so müssen wir auch Kinder mit ihnen werden.“

 

Erfurt, 01.04.2010  |  Dr. Jutta Lindemann