Die sichtbar fließende Konsistenz des Aquarells widerspiegelt das Werden und Vergehen im Fluß der Zeit – und ist daher nicht zufällig ein bevorzugter künstlerischer Weg für die Erfurter Gruppe SilverPainters mit Residenz im Erfurter Seniorenklub. Denn darin kennt man sich aus, wenn man schon eine Menge an Zeit hinter sich gebracht hat – und das ist, wohlgemerkt, als Kompliment gemeint! Die SilverPainters gehören zur SilverGeneration, so genannt wegen der Haarfarbe und wegen ihrer zumeist ziemlich gesicherten finanziellen Situation – aber vielleicht auch wegen der Ausstrahlung ihrer in sich ruhenden Seelen (jedenfalls meistens …). Und – Achtung! Achtung! – da die Menschen laut statistischer Prognose dank besserer Gesundheit rasant immer älter werden, wachsen die Heerscharen der Silberköpfe (Gefärbte inclusive) ebenso rasant. SilverTsunami in Sicht!
Doch daß das Silber im Haar den Blick auf die Welt vergoldet, halte ich trotzdem für ein Gerücht, eher ist er inzwischen geschärft für Zwischentöne und die wahrhaftigen Dinge des Lebens hinter den Spiegeln der Eitelkeit. Denn statt in Bitternis über Falten und Cellulite zu baden, registrieren viele eher gelassen den Zuwachs im Fleische (von schwer erworbenem Gutem kann man eben nicht so leicht lassen … und tägliches Jogging und Hantelnstemmen ist nicht jedermanns Sache) und erfreuen sich durchaus auch dessen im Geiste (solange das eben noch zutrifft). Und Gefühle sind ja sowieso unsterblich!
All das sind beste Voraussetzungen für eine interessante Beschäftigung, die zum Glück meist im Sitzen ausgeführt wird und per se schon kommunikativ ist, da mit Zeichen und Signalen als Botschafter von Gedanken und Gefühlen befasst – noch mehr aber, wenn sie in einer Gruppe stattfindet: das Malen.
Da ist das Thema wider den hektischen Zeitgeist nur logisch, geradezu zwingend, dem sich die 20 „SilverPainters“ unterschiedlicher Jahrgänge und beruflicher Herkunft des allwöchentlich im Seniorenklub der Hans-Grundig-Straße tagenden Malzirkels unter der künstlerischen Leitung von Frau Christel Wrobel stellen:
„Innehalten und Brücken bauen“, um das Wesen einer sich verändernden Welt besser zu erkennen und einander wie auch dem künftigen Betrachter der Resultate Anregungen zu vermitteln, damit er ebenfalls über das kontemplative Beschauen und Durchschauen des scheinbar Alltäglichen zu eigenen Erkenntnissen und Lebensansichten gelangt. Dabei genügt schon ein wenig Offenheit, vermeintlich Fremdes, noch Unvertrautes zu erschließen, in sich aufzunehmen, sich zu eigen zu machen und anderen zu vermitteln.
Damit ist letztlich aber auch ein hoher Anspruch an die eigene Lebensführung verbunden, denn wie sagt der Fuchs zum Kleinen Prinzen? „Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast.“ Hm … Werden wir dem immer gerecht? Naja …
Die Malgruppe setzt sich mit Themen und Techniken auseinander, die den Blick schärfen für Mensch, Natur, Umwelt, mit dem Ziel, sie auf unterschiedlich malerische Weise zu realisieren. Dabei bleibt zum Glück genug Spielraum für individuelle bildnerische Intentionen, so dass sich vom Wesen des Einzelnen getragene Handschriften ausbilden können, die im Zusammenklang der Gruppe parallel schwingende Harmonien, aber auch spannungsvolle Gegensätze entwickeln – oft erst in einer Ausstellungssituation wie dieser erleb- und durchaus als erneute Inspirationsquelle nutzbar.
So steht auch in dieser Ausstellung das aufmerksam und stringent zelebrierte Naturstudium, oft mit Stillebencharakter, das doch durch die Aquarelltechnik das erforderliche Maß an Leichtigkeit behält und eine wichtige Basis auch für die freie Umsetzung innerer Bilder darstellt, neben heiteren oder dramatischen Landschaftsszenarien, genau beobachteten Porträts oder fast ornamental entwickelten Phantasieköpfen, geometrisch-tektonisch oder organid anmutenden abstrakten Kompositionen von zuweilen hintergründiger Bedeutung und den vorwiegend spielerischen, doch durchaus auch schon von Bildabsichten gesteuerten Experimenten mit ungewöhnlichen und ungewohnten Materialien und Verfahren. Die dominierende Aquarelltechnik wird in ihren reichen Möglichkeiten entdeckt, erprobt und variiert:
Im Aquarell verbinden sich Entschiedenheit mit Unbestimmtheit, klare Konturen und Kontraste mit weich verfließender Tonigkeit. Den faserigen Säumen der vom feuchten Fond aufgesaugten Farbflächen stehen auf trockenem Papier glashart gezogene Kanten gegenüber. Und auf dem Weiß des körnigen Aquarellpapiers tritt aus einer eher verhaltenen Grundfarbigkeit die spezielle Leuchtkraft der transluziden Aquarellfarben vor allem als Akzent bezwingend kraftvoll hervor – auch deshalb, weil der Farbfleck des Aquarells, entstehend aus sich sichtbar im Wasser lösenden Pigmenten, von unübertroffener Plastizität und Tiefe ist. Eine ganz besondere Rolle spielt darüber hinaus noch vor dem ersten Pinselstrich das für Aquarell charakteristische genau überlegte Aussparen des weißen Grundes, der hier funkenartig aufblitzt und dort großflächig strahlend hervorleuchtet. Deshalb aber muss das Bild gewissermaßen von unten nach oben oder von hinten nach vorn aufgebaut werden, es wächst vom Blatt Schicht über Schicht erkennbar auf uns zu. Wer aquarelliert, verfolgt daher konsequent – denn nachträgliche Korrekturen sind nicht möglich – ein klares Bildkonzept, das ihm jedoch zugleich spielerisch-experimentelle Seitensprünge nicht nur erlaubt, sondern sogar abverlangt. Daraus entsteht eine unverwechselbare bildnerische Spannung zwischen malerisch-mystischer Ambivalenz der sanft farbig modulierten in- und übereinander fließenden Farbflächen einerseits und rationaler Beherrschtheit der grafischen Linienstruktur zum anderen.
(Aus der Laudatio zur Ausstellung Manfred Aurich Dresdener Bank 2009)
Dem Engagement der künstlerischen Leiterin und den guten Voraussetzungen im von Frau Susann Karasjew geleiteten Seniorenklub ist es zu verdanken, dass dieser Zirkel seit 1997 besteht.
In diesem Zeitraum hat die Malgruppe mehrfach Gemeinschaftsausstellungen gestaltet. Eine wesentliche Triebkraft des künstlerischen Schaffens der „SilverPainters“ ist die Freude am Malen. Sie wünschen sich, dass die Exponate, die einen repräsentativen Querschnitt ihres Schaffens zeigen, den Besuchern ein wenig von dieser Freude herüberbringen und vielleicht auch einige zum Malen anregen.
In dieser Ausstellung sind Arbeiten folgender Malfreunde zu betrachten:
Christel Wrobel (künstlerische Leiterin), Christina Boegel, Traudel Bremer, Renate Endert, Brigitte Hagen, Susann Karasjew, Brigitte Kirchhof, Horst Kirchhof, Ursula Klagge, Gudrun Lindner, Walter Mauermann, Barbara Mechler, Brigitta Mende, Karin Vogel, Ingrid Walther, Brigitte Weinert.
Eine Ausstellung der Mitglieder des Aquarellkurses von Manfred Aurich, einem Erfurter Aquarellkünstler (aus der Laudatio zu seiner Ausstellung 2009 wurde oben zitiert), hier an diesem Ort trug den programmatischen Titel „Aquarellieren ist wie Träumen“. Aber ich denke, es ist noch mehr: Träume sind vergessen, wenn wir erwachen – doch die Kunst bleibt und schafft in uns und um uns neue Welten von Bestand.
Eine neue Brücke wurde hier und heute durch die Kunst gebaut – überschreiten wir sie jetzt und betreten eine solche neue Welt.
Erfurt, 10.05.2011 | Dr. Jutta Lindemann