Und die Mutter blicket stumm auf dem ganzen Tisch – äh – Tablet(t) herum …
Und siehe, sie war es zufrieden! Doch was ist das???
Da weichen doch in mancher Seitenlinie einst brave Sprösslinge widerborstig ab ins Ungebärdige: Weitab von grundgesicherten Ordnungen, genüsslichen Farbharmonien und glatt glänzenden Oberflächen durchbrechen sie die Grenzen des schicklichen Maßes!
Spießgeselle und quasi Fluchthelfer ist ein verdeckt agierender aufmüpfiger Freibeuter der Ästhetik, der sich inzwischen sogar als eigenes und eigenwilliges Bildelement mausig macht und hier entlarvt werden soll.
Normalerweise scheut er ja das Licht des Bildschirms – Pixelo vulgaris, der (oder das?) gemeine Pixel. Aber wenn es gelingt, ihn hervorzulocken aus den Tiefen der WebWelt, vermag er ungeahnte Kräfte zu entfalten. Dann löckt er wider den Stachel der Perfektion und lässt hintergründige Räume ganz ohne Raumillusion entstehen, erschafft ein eigenes scheingeometrisches Ästhetik-Universum der Brüche und Risse, der diffizilen Diversion.
Während fleißiger Photoscape-Grafisierungsprozesse schleicht sich der destruktive Desperado in friedliche Bildwelten ein und unterminiert nach gemütlicher Sichtung all des Netten und Schönen keck manch arglos vor sich schimmernde Farbflächen und eifrig dahin strebende Konturen auf das schändlichste.
Ich sage nur: OHA!!! Aber auch die ohnehin schon bizarr-artenreichen TIEFTHALSPIRALEN können ein Lied davon singen, wenn er ein farbblitzendes Linien-Moosgewirr über ihre späten Schwünge wuchern lässt. In das orientalisch prunkende Paradies der FLORA dagegen wälzt sich auf sein Geheiß grunzend die FAUNA schuppiger Drachenpopulationen, tanzende METALLIC-Ströme (Kandinsky meets Strawinsky) durchbrechen auf seinen Spuren raumgreifend den Bildgrund, und auch vor der weit verzweigten Vita des im Bilde wieder auferstandenen BIRNBAUMs von der Breitstrominsel macht der Pirat nicht halt: Erlkönigs Töchter im wilden Jagd-Gefolge, verwandelt er sich von Mal zu Mal in Dornendickicht, Borkenrinde, Novemberreif, Frostblüten oder Frühlingstau in seinem Geäst! Auf Halleschen FRIEDHÖFEN wirft er mystische Schattengespinste über die steinernen Relikte verwehten Erinnerns. Im GARTEN schließlich webt er querbeet ein anarchisch-archaisches Spitzennetz über das wandelbare Antlitz von Rosen, Tulpen und Co. und läßt zu guter Letzt mich selbst zwischen Rembrandt- oder Klimtmodell, verschollener Großfürstin und Schneekönigin changieren.
Und irgendwann begreift auch der Letzte: Dieser WAHNSINN hat METHODE!
Dabei ist der kleine Kerl zwar ziemlich kantig, aber eigentlich unscheinbar, winzig, fast fragil!
Und seine Provenienz bleibt mysteriös.
Doch sein Auftritt ist ebenso unberechenbar wie unausweichlich, der Eindruck nachhaltig.
Also scheint es wohl besser, sich zu ihm zu bekennen und ihn sich im Sinne der bekannten WinWin-Situation zunutze zu machen – zumal in letzter Zeit eine Rivalin und zugleich Schwester im Geiste seine Wege kreuzt und seine Potenzen auf neue Weise herausfordert: die Linie, die unter ganz bestimmten Vorzeichen fedrig-splittrig wie ein Blitzstrahl der Fingerspitze auf dem Touchpad entspringen kann und ebenso wie er jede ruhig-rational geführte Kommunikation zwischen Kopf und Hand der spontan ausbrechenden Emotion opfert, die schon hinreichend fruchtbar bebauten Farbfelder schroff durchpflügt und dabei neu aufmischt und die mühsam aus der gesicherten Erfahrung heraus errichteten Zäune der Komposition mutwillig einreißt, auf dass die Gedanken und Gefühle von ganz unten alles tröstend Geordnete wie ein Tsunami überrollen.
Ästhetik? Pfffhhh!!! (Aber schön ist es doch …)
Pirat und Piratenbraut (und potentielle weitere Kumpane) – nur dank ihnen macht es Spaß, mit dieser Maschine zu arbeiten, die leicht zum allzu Glatten, allzu Perfekten verführt!
Sucht nach ihnen, und sie spielen auch mit euch! Horrido, mein Pixelo!!! Leinen los!
Halle/Saale, 22.02.2015 | Jutta Lindemann