Marion Walther – Keramik

Laudatio zur Vernissage – VBK-Galerie Erfurt – 01.03.2004

Himmel, Arm und Zwirn? Oder Wolkenbruch? Nein, Himmel, Hölle und Erde!

Auch nicht – aber Himmels-Luft und Erden-Hölle, Feuers-Brunst und Wasser-Flut!

Das ist es, worum sich alles dreht! Und die Erde ist es, die die drei anderen Elemente in sich aufnimmt und sich durch sie verwandelt, sich ihnen anverwandelt, ohne sich zu verlieren. Und diese Elemente, ihr Mit- und Gegeneinander prägen die Keramik der Marion Walther – auf individuell besondere Weise.

 

Der Gruppe der vier Elemente ordnete schon Aristoteles Eigenschaften zu, die möglicherweise sogar ihr spezifisches Temperament begründen: Feuer kennzeichnet er als warm und trocken, Luft warm und feucht, Wasser kalt und feucht und Erde als kalt und trocken – Eigenschaften, die sich durch Färbung, Textur und Faktur von Werkstoffen, durch den Duktus von Oberflächen wie durch die Diktion der Linearität aber auch ganz bewußt ausdrücken lassen, wenn der Mensch sie gestaltend verwendet, da sie in unserer Psyche assoziativ unterschiedliche Empfindungen und Stimmungen hervorrufen.

 

Zum Exempel die Farbe, ganz objektiv naturwissenschaftlich betrachtet: Bereits die natürlichen Farben von Erden und der in ihnen verborgenen Mineralien umfassen durch die darin enthaltenen Metallanteile vor allem von Eisen, aber auch von Kupfer und Mangan, Kobalt und Chrom, Kadmuim und Quecksilber ein Spektrum vom kühlen Blau, Türkis oder Grün über hell leuchtendes Ocker, tief dunkles Umbra, sanft schimmerndes Siena bis zum heiß brennenden Ziegelrot, deren von der Herkunft und Zusammensetzung dieser Erden oder auch ihrer Nutzung hergeleitete und in der Kunst verwendete Bezeichnungen bereits alles verraten über die ursprüngliche, geheimnisvolle, tiefe Beziehung, die gerade Künstler oft zu dem Boden unter ihren Füßen hatten und haben.

 

Vielleicht ist ja auch schon deshalb kein Zweifel möglich: Die Erde ist eine Frau. Die große Mutter Erde kannten schon unsere Vorfahren – so wie die Vorfahren vieler Völker auf dieser Erde: als weibliche, mütterliche Gottheiten NINLIL und ISCHTAR in Babylon, ISIS in Ägypten, GAJA, aber an ihrer Seite auch DEMETER, HERA, ARTEMIS, APHRODITHE, KORE in Griechenland, die MAGNA MATER KYBELE im Römischen Reich, IZANAMI in Japan oder NERTHUS bei den Germanen spendet sie Leben, ist sie der Inbegriff von Fruchtbarkeit, die Pflanzen, Tiere und Menschen aus sich gebiert – aber auch Herrscherin der Unterwelt, die ebenso über die Macht verfügt, das Leben wieder in sich zurückzunehmen.

Sie ist die schöpferischste aller Urkräfte, die Kreativität an sich, die letztlich auch der Seele Unsterblichkeit verleiht.

 

So entstehen fast zwangsläufig auch aus Erde, der spröden Materie von Sand, Staub und Steinen in der Verbindung mit Wasser, Luft und Feuer archaisch klare Formen und Zeichen, als momentanes Ereignis (oder wie man heute sagt: Event) für einen Augenblick, Wimpernschlag, Atemzug herausgehoben aus dem Fluss der Zeit, der Leben und der Dinge.

 

Und für diesen winzigen, aber auch unwiederbringlichen Moment haben wir die unendliche Zeit der Sinne, um zu sehen, zu hören, zu tasten, zu schmecken, zu riechen und so gerüstet pars pro toto das Universum unter dem Brennglas des künstlerischen Blicks zu erleben.

 

Im Skulpturalen der keramischen Objekte und Gefäße von Marion Walther konfigurieren sich diese im Moment der Kunstschöpfung erstarrten Phasen endloser Metamorphosen alles Lebenden oft als Kreis- und Kugelform – einem jahrtausendealten Symbol umschließender, behütender Mütterlichkeit – Schoß, Knospe, Frucht, Ei – eine Urform, in zuweilen rauher Abwehr nach außen, mit hart gebrannter Haut, doch andererseits nach innen lebensvoll unter dem weich schmelzenden, schützend dichten Fluss der Glasuren und Engoben.

 

Die Kugel umschließt und verkörpert zugleich die gesamte Welt, begehbar wie ein Labyrinth, das jedoch zum Glück dann, wenn es einen Eingang gibt, immer auch einen Ausweg bereithält, vielleicht mit einem die Insassen schützend umschließenden Boot als Fluchtfahrzeug, begleitet von den behütenden Blicken der Wächterinnen turmhoch und souverän über dem Geschehen.

 

In der bildnerischen Sprache von Marion Walther spielt die Linie eine besondere Rolle als die ursprünglichste Handschrift des Inneren im wahrsten Sinn des Wortes, als direkter, spontaner Fingerabdruck der Seele: Gestreckt, gestrafft, gebrochen, gleitend, fließend, fliehend – Linien ziehen Grenzen zwischen Form und Raum, die sie wie nebenher zugleich charakterisieren; Linien begrenzen als Konturen den Spielraum der Formmodulationen; Linien ritzen und verletzen die Glasurhaut zärtlich und schmerzlich im Erinnern an Jahrtausende tiefe Risse und Furchen in luftgetrockneter, wasserdurchspülter oder feuergebrannter Erde; Linien zeichnen die energischen Profile mythischer Wesenheiten nach, wilder Wächterinnen im Wind oder gravitätischer Göttinnen mit großen Gesäßen; Linien in immer neuen Überlagerungen, verdichtet zu Vernetzungen, zu schicksalhaften Verstrickungen, überziehen mit Haut und Haar mutwillig gereckte Köpfe und Körper als Spuren gelebten Lebens wie nach außen gedrungene kaum vernarbte Wunden der Seele; Linien graben in die heile Welt der klaren, glatten Form tiefe Schrunden: für das sensible Gespür des aufmerksamen Beobachters – aber auch nur für ihn – als Vorboten nahender Veränderung, als erste warnende Anzeichen vor dem Ausbruch des schon vibrierenden Vulkans, vor dem Herausbrechen der unaufhaltsamen Lawine aus der trügerischen Ruhe des Gletschers – Momente des memento mori, die vielleicht nur die Kunst so eindringlich und nachhaltig in den zeitlich begrenzten Focus unserer Betrachtung zu bannen vermag.

 

Gefäß, Gerät, Schmuck, Waffe, Kult, Zeichen und oft alles zugleich – zweckdienliche und ebenso symbolträchtige Formen, wie sie so nur aus der menschlichen Hand hervorgeht und deren schöpfende Bewegung sicht- und spürbar auf Dauer in sich aufbewahrt – Kugel, Kumme, Schale, Stele, Schiff, Schädel, Leib – treten im Turnier der Kontraste gegeneinander an: massig, dicht, geballt, in sich ruhend und versunken gegen grafisch schweifend, kalligraphisch fließend, keck aufgereckt und nicht selten speerspitz oder messerscharf, kraftvoll und kampfbereit.

 

Marion Walthers Schaffen über die letzten Jahre hinweg offenbart eine Persönlichkeit, die sich mit ihren Geschöpfen gern mitten hinein stellt in die Weltbewegung und doch inmitten der Auseinandersetzung immer auch über Einhalt und Einkehr den Gleichklang mit der Welt sucht, wie er in Vollendung jedoch wohl niemals zu finden sein wird.

 

Kunst schlägt ihr immer aufs neue Brücken dorthin, doch das ersehnte Ufer, an dem alle Fragen sich lösen, kann niemals erreicht werden.

Formen und Farben, Rhythmen und Texturen dringen unter den Händen der Künstlerin aus ihrem Inneren hervor und achtungheischend mitten hinein in unsere Lebensräume – wo sie uns wirklich und wahrhaftig gerade noch gefehlt haben!

Sie verschaffen sich nachdrücklich und nachhaltig den ihnen angemessenen Platz darin und treten in Korrespondenzen, Konkurrenzen, Kongruenzen zueinander und zu uns, sprechen zu uns vom Hiersein und Fortwollen, vom Aufbäumen und Müdewerden, vom Wurzelnschlagen und Segelsetzen im Steigen und Stürzen zwischen Himmel und Erde – und wohl auch der Hölle in deren tiefsten Gründen, stets und unstet getrieben zwischen Feuer und Wasser.

 

Schritt für Schritt hat sie sich aus der Erdbindung heraus auf die Ebenen der anderen Elemente hin bewegt: das Schwebende, das Kühlende, das Flammende begegnet dem Lastenden beim Aufeinandertreffen leuchtend leichter, glänzend glatter Glasuren mit dem schwer lagernden Korpus. Veränderungen zeigen sich folglich vorrangig im Farbkonzept, das, an die natürlichen Nuancen der glasurbildenden Mineralien und Metalle gebunden, doch kraftvoller, kontrastreicher als bisher sich aus der tonigen Erdigkeit der Braunskalen gelöst hat und mit den lichten, klaren, kühlen Weiß-, Blau- und Grün-Tönen glänzender Glasuren zum einen und dem saftig warmen Inkarnat matter Engoben zum anderen mehr und mehr gegen die aus Freibrand-Feuerspuren geborenen schwarzen Schatten des Höllenschlunds angeht. Und im lasierend transluziden Auftrag oder Einrieb der Farben steigert sich ganz nebenbei auch noch die Plastizität der rissigen keramischen Häute. Aktuelle Quellen der Inspiration sind das ungebrochen starke indigoblaue Licht über den rostroten Sänden und Felsen Marokkos und die unverfälscht sinnliche Farbenlust dieses Landes.

 

Auch diese auf eine kleine Auswahl beschränkte Ausstellung macht deutlich, wie durch Konzentration auf Wesentliches, Grundlegendes die Kunst uns spirituell und sinnlich, visuell und haptisch, schmerzlich und lustvoll mit der Nase auf Ursprünge, Wesen und Endlichkeit des Lebens stoßen kann.

Kunst kann helfen, dass wir diese ständigen Verwandlungen – Metamorphosen in Raum und Zeit, behutsame oder gewaltsame Veränderungen bis zur Zerstörung von bereits Entstandenem, vielleicht mühevoll Erarbeitetem, um dessen Überreste als Rohstoff für die neue Idee, das neue Geschöpf zu verwenden, Evolution und Revolution als zwei Seiten derselben Medaille – an und in uns selbst entdecken und modellhaft, spielerisch, doch auch bewußt gestalten, um diese Prozesse zeitweilig sichtbar und nacherlebbar werden zu lassen.

 

So können wir vielleicht lernen, mit diesen Wandlungen wie den damit verbundenen, doch oft auch im wahrsten Sinne heilsamen Verletzungen und Verlusten zu leben, sie zu bewältigen und vielleicht sogar uns zunutze zu machen, was auch bedeutet, die richtige Balance zwischen Verlust und Gewinn, die Lebensbalance, zu finden.

 

Aus dem Mythos von der ewigen und zugleich stetig sich wandelnden Mutter Erde hervorgegangen ist vermutlich auch der Mythos der Wolfsfrau, des Archetypus der Wilden Frau, die die uns allen innewohnende instinktive Kraft der Wilden Freiheit verkörpert und diese Kraft aus ihrer Nähe zu Erde und Wasser ebenso schöpft wie ihre Inspirationen aus Himmel, Feuer und Wind.

 

Und vielleicht können uns daher die 10 allgemeinen Verhaltensregeln für Wolfsfrauen dabei nützlich sein, immer den impulsgebenden und kraftspendenden Boden unter den Füßen zu behalten und doch zugleich auch die Nase im Wind, der das Neue herbeiträgt und das Verlorene verweht.

 

(„Am besten fängt man mit Regel Nummer 10 an“, empfiehlt die Autorin Clarissa Estés, „wenn man gerade schwer zu kämpfen hat“):

 

 1. Essen

 2. Ruhen

 3. Spielerisch arbeiten und herumstreunen

 4. Loyal sein

 5. Kinder großziehen

 6. Im Mondlicht tanzen

 7. Ohren haarfein einstimmen

 8. Knochen ausgraben

 9. Lieben und sich lieben lassen

10. Oft und kräftig aufheulen.

 

Erfurt,29.02.2004 | Dr. Jutta Lindemann