Geld stinkt nicht, sagt der Lateiner – anderes aber schon!
Ich möchte Ihnen jetzt ein Geheimnis verraten, dass ich vermutlich mit einigen in diesem Raum teile: Vor allem ist es der Geruch von Ölfarbe, von dem man einfach nicht mehr loskommen kann. Der macht geradezu süchtig.
Jeder, der jemals mit Ölfarbe gemalt hat, weiß das und kann es nicht vergessen.
Ich finde noch heute, über 30 Jahre, nachdem ich das letzte Mal einen Pinsel in Ölfarbe versenkt habe, dass das eine faszinierende, fast magische Substanz ist.
Ich mag meinen Computer sicherlich sehr und bewundere seine fantastischen Fähigkeiten, die manche herkömmlichen Möglichkeiten weit überschreitet und auf seine ganz besondere Weise meine Kreativität in nie geahnter Weise herausfordert – aber das kann kein technisches Gerät je ersetzen, diese sinnliche Erfahrung des Malens mit dieser duftenden, leuchtenden, weich formbaren und doch plastisch festen Masse, die mir Zeit lässt, Spielräume einräumt, um die ersten Ideen immer wieder zu variieren, neue Gedanken einzubringen, alles wieder und wieder zu verwandeln.
Schön ist zwar auch die glasklar schimmernde Transparenz des schnell entschlossenen Aquarells, das behutsame Herantasten des Pastellstrichs an die Form, die flächendeckende, unwiederruflich lastende Dichte der Gouache – doch die plastische, kraftvolle Präsenz der Öl- (oder heute auch der Acryl-) farbe empfinde ich als unvergleichlich in ihrer sinnlichen Ausstrahlung, die Bewegungen, mit denen man diese Masse mit Pinseln, Spachteln, Stäben, mit den Fingern durchfurcht, als lustvolles Abenteuer, vergleichbar der Eroberung eines Ozeans, der Entdeckung eines Kontinents.
Daher bin ich überzeugt, dass immer gemalt werden wird und der Computer nie eine Konkurrenz, höchstens eine Ergänzung und Erweiterung der unendlichen, unerschöpflichen, ungeheuerlichen Welt der Malerei sein kann.
Und wie wir heute hier sehen: Es wird wieder – oder besser immer noch – gemalt: lustvoll, unbeirrt von den Horrorszenarien kunstwissenschaftlicher Zukunftsprognosen.
Handgemachtes hat in allen Genres Hochkonjunktur, unabhängig von der schier unüberschaubaren Fülle zeitgeistgeprägter neuer Kunstformen.
Und: Es ist die neue Generation, die dieser alten Leidenschaft verfallen ist: Malerei, die unsterbliche Geliebte!
Und das, meine ich, ist das eigentliche Verdienst dieses Kalenders – egal, wie unterschiedlich die bildnerischen Handschriften und malerischen Erfahrungen der Protagonisten auch sein mögen – sie alle aufgespürt zu haben in Thüringer Städten, die vom Malvirus unrettbar Infizierten der neuen Generation, die sich der alten bzw. älteren Garde nahtlos zugesellt – ausgebildeter Hochschulabsolvent oder fanatischer Autodidakt, bekennender Seiteneinsteiger oder abgeklärter Freiberufler beiderlei Geschlechts zwischen 22 und 44, früh entdeckt oder spät erweckt. Aber zu spät ist es nie!
Und der Virus ihrer Besessenheit und der vieler anderer nicht nur in diesem Land ist ansteckend – glücklicherweise.
Ein bisschen kann wohl auch dieser Dreistädtekalender zu seiner Verbreitung beitragen.
Und seine Vielfalt ist nicht nur im Dunstkreis der Klassiker berechtigt, wo Goetheworte unvermeidlich scheinen, zumal sie sowieso irgendwie immer passen, also auch das berühmte und beliebte „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen!“
Aber es geht auch um das Charakteristische der Jahreszeiten, die die Monate durchschreiten, und dafür erscheint mir die Auswahl sehr sensibel getätigt.
Doch möge sich jeder seine Meinung bilden und seine Favoriten selbst finden, so wie der eine den Mai liebt und der andere den November, dieser die brütende Sonne, jener den brausenden Schneesturm, erfrischende Sommergewitter oder melancholische Nebelnächte – und manche alles, denn ein jegliches hat seine Zeit.
Und so hat auch in diesem Kalender ein jegliches seinen Platz zur richtigen Zeit am richtigen Ort im Auf und Ab des Jahres: die Erfurter Ina Herrmann und Andreas Jäckel mit metaphysisch-malerischer Bewegung meßbar-maßlos zwischen Raum und Zeit oder mit clownesk-karikierten, skurril-satirischen Narrenwelten, die Jenaer Klaus Langmann und Britta Rensing mit grafisch-gestischen Körper-Beziehungen und malerisch-meditativen Farbräumen zum einen, mit Stift und Pinsel als Seelenskalpell zu schmerzvoll sezierender Suche nach dem Wesenskern alles Lebenden zum anderen, die Weimarer Isabel Asuraci und Ulrike Theusner mit schwelgerisch-naiver Hingabe an die Ursprünglichkeit erlebter Landschaft hier und mit einem sich zu flüchtig-leichten Formen verdichtenden heiteren Tanz leuchtender Farbflecken über die Bildbühne sinnlich erfahrener Urbanität dort.
Das alles ist ein guter Auftakt, meine ich, um Lust zum Kunstmachen wie zum Kunstkaufen zu machen – und Mut zu noch viel mehr privater Kunstvermittlung, als derzeit Thüringen zu bieten hat!
Kalender und Kunst kann man nämlich nie genug haben – und dazu braucht es ein noch größeres erntefrisches Angebot vor allem eben auch aus unserem eigenen Gemüsegarten!
Quod erat demonstrandum: Der Siegeszug der Malerei ins 21. Jahrhundert ist jedenfalls nicht mehr aufzuhalten, und dafür etwas getan zu haben, können sich alle Beteiligten dieses Projekts zugute halten.
Malerei tut not – wage ich kühn einen weiteren Spruch der guten alten Lateiner zu variieren, und wenn dem noch viel mehr folgen würden, leiden künftig auch die Maler keine Not! Aber dafür müssen sich neben den öffentlichen noch viel mehr private Hände öffnen, um uneigennützig der Kunst zu dienen.
Denn: Kunst ist nicht alles, doch alles ist nichts ohne Kunst!
Daher lautet der Tagesbefehl, und zwar jeglichen Tag: Danke – weitermachen!
Erfurt, 07.09.04 | Dr. Jutta Lindemann