Eigentlich sehr häufig aus verschiedenen Gründen, aber aus einem ganz bestimmten Grund mindestens einmal im Jahr beneide ich meinen Kater um sein schlechtes Gedächtnis und sein mangelndes Interesse an der eigenen Zukunft: Er lebt im Hier und Jetzt, erwartet oder fordert nur Naheliegendes – wenn auch nachdrücklich – und tilgt offenbar Zurückliegendes, wenn es ihm heute nicht mehr lebenswichtig erscheint, rigoros aus seiner Erinnerung – vor allem seine eigenen Untaten!
Ich hingegen unterliege leider auch dem sich mit ansteigenden Lebensjahren verstärkenden Syndrom, gelegentlich in den alten Kisten der Seele zu wühlen, um den Blick auf die über Jahre erworbenen Schätze zu werfen, wobei mir zwangsläufig leider auch angesammelter Müll und unbezahlte Rechnungen in die Hände fallen. Einer dieser Anlässe ist der sich unaufhaltsam nähernde Jahreswechsel, aber es sind auch die berühmten Nullen, die im Laufe unseres Lebens wie ein zwar schöner, aber auch schwerer Schmuck gewissermaßen zum Sinnbild vollendeter Jahresringe werden.
Uta Stade konnte im vergangenen Jahr den sechsten metaphorischen Zehnerring in ihre Schatztruhe legen – an ihrem Rückblick lässt sie uns teilhaben.
Resümees sind oft Impuls für neue Wege oder bekräftigen zumindest Erreichtes als Ausgangspunkt für Entwicklungen und Wandlungen.
Und wie sich bei dem einen die extensive Suche nach dem Eigenen in extremen Positionswechseln offenbart, so stellt sich der andere eher über verhaltene Metamorphosen dar.
Zur letzteren Species zählt die Uta Stade, eine stille Instanz in der international nicht unbedeutenden Erfurter Schmuckszene.
Und so stringent in der Konsequenz der Gestaltungslinie zeigt sich ihr Gesamtschaffen anlässlich dieser persönlichen wie beruflichen Zäsur, dass es fast unmöglich scheint, frühe von späten Arbeiten deutlich zu unterscheiden.
Zu allen Zeiten zeigt sich das Grundkonzept in geometrischen Konturen, meist gestreckte Rechtecke und Quadrate, die eine wenig plastische, doch grafisch fein differenzierte Oberfläche umreißen. Lineare, oft vegetabil oder kristallin anmutende Texturen oder Kompositionen aus zeittypischen Bildzeichengruppen entstehen – zumeist in und auf Silber und Neusilber, gelegentlich Gold mit unterschiedlichsten Techniken gearbeitet: netz- oder gitterartig durch symmetrisch doppelseitige Prägungen steil aufgefalteter Flächen, Papillarlinien für Hochzeitsschmuck durch Schleuderguss, wie gegeneinander gebürstete Schraffurflächen durch Schmirgeln und Schleifen, rhythmisch geordnete sparsame Linien und geometrische Flächenelemente durch die spezifische Metall-Intarsientechnik des Tauschierens, die zugleich verschiedene Metalle effektiv verbindet.
Ebenso metallbezogen charakterisieren Anlassfarben den Werkstoff Stahl in einer temperaturabhängigen Skala zwischen Gold-, Rot-, Violett- und tiefen Blautönen, eingebunden in straffe schmale Formen.
Experimente mit Similisteinen in Art-deco-Manier wurden durch einen Wettbewerb angeregt, bleiben aber Ausnahmefälle, da die Künstlerin augenscheinlich ganz der Aussagekraft der puren Metalle vertraut.
Um die Strenge geometrischer Strukturen zu besänftigen, bricht sie aber auch immer wieder kantig Geradliniges mit weich Geschwungenem, Gewölbtem, technoid Geformtes mit organid Gefasstem, kühl Klares mit empfindsam Differenziertem, setzt gegen kalkuliert glatte Ebenen spontan vielschichtige Auf- und Durchbrüche.
Immer wieder erbrachte die langjährige Lehrtätigkeit an an der Fachoberschule für Gestaltung Erfurt und im Fachbereich Schmuck der Staatlichen berufsbildenden Schule Arnstadt wichtige Impulse für neue Ideen im Technischen ebenso wie im Formalen.
Doch die nachhaltigste konzeptuelle Initialzündung setzten nach der preisgekrönten Teilnahme am DDR-Schmuckwettbewerb 1977 zum Thema „Partnerschmuck“ und den daraus folgenden Kontakten mit den führenden Schmuckkünstlern des Landes die Erlebnisse bei der Zusammenarbeit mit anderen Schmuck- und Metallkünstlern anlässlich des 4. Erfurter Schmucksymposiums 1990 in den städtischen Künstlerwerkstätten – ein Arbeitsort, an dem sie künftig häufig gesehen wird, so seit 1996 bei fast allen internationalen Emailsymposien: Die eigenwillige und in der Fülle ihrer Möglichkeiten ebenso wie in der Ausdruckskraft ihrer Farbspiele faszinierende Emailtechnik dominiert fortan Uta Stades Arbeitsprogramm.
Zunächst befasst mit dem traditionellen Schmuckemail, wie ausgewiesen in Broschen, plan und matt geschliffen im Kontrast zu reliefgeprägtem Silber, erarbeitet sich die Schmuckkünstlerin unter dem Einfluss der Auffassungen zeitgenössischer Kunst und deren wesentlicher Protagonisten in der Erfurter Schmuckszene wie den drei Begründern des Erfurter Schmucksymposiums Uta Feiler, Rolf Lindner und Helmut Senf sukzessive die bildnerischen Potenzen des Industrieemails.
Daraus folgt konsequent der entscheidende Schritt vom Schmuck zum groß dimensionierten Bild, das sie zu Lösungen führt, die mit flächigen Überlagerungen vorrangig geometrisch formulierter transluzider Farbschichten frei und doch verhalten spielen.
Uta Stade erarbeitet aber auch im Metier Schmuck unspektakulär, doch beharrlich ihren unverwechselbar eigenen Weg, als sie die Ajour-Technik für sich entdeckt – und damit über die Materialtransparenz die besondere, spirituelle Kraft des Lichts, eingefangen in winzigen farbleuchtenden Email-Fenstern, die energisch aus mattgeschliffenem dichtem Silber hervorstrahlen, zum Leben erweckt durch die Bewegungen des Schmuckträgers.
Dem gerade bei diesem ätherisch anmutenden Arbeitsverfahren üppig fließenden Formenvokabular bedeutender Jugendstilkünstler wie etwa René Lalique jedoch setzt sie zeitgemäß und selbstbewusst eine stark zurückgenommene sachliche Formsprache entgegen.
Ausstellungen markieren den Weg eines Künstlers wie Meilensteine – beginnen sich dabei allmählich die Retrospektiven zu häufen, ist dies ein untrügliches Zeichen dafür, dass man in die zweite Lebenshälfte eingetreten ist, die es legitimiert, dass die Rückblicke mittlerweile länger geraten als die Vorausschauen.
Nicht jeder findet jedoch dabei ein so gut bestelltes Feld vor wie Uta Stade, zumal mit reich aufgegangener Saat: Generationen von Schülern, die die Erfahrungen und Gedanken ihrer Lehrerin durch ihr eigenes Schaffen in die Welt tragen – gemeinsame Ausstellungen mit ihnen in den letzten Jahren wie die im Kulturhof Krönbacken unter den Themen „Aus eins mach zwei“ 2000 und „Stroh zu Gold“ 2004 belegten überzeugend die nachhaltige Ausstrahlung ihrer Tätigkeit und ihrer zwar im Auftreten fast bescheidenen, doch intensiven und energischen Persönlichkeit.
Und anstatt nun wohlverdiente Ruhekissen zu belagern, treibt es die von ihrer Arbeit besessene Schmuck- und Metall-Künstlerin nun erst recht an die Werkbank, denn ein gerade neu ausgebautes eigenes Atelier lockt mit größerem Platzangebot, und der Emailbrennofen in den städtischen Künstlerwerkstätten darf auch nicht kalt werden.
So kann mit Gewissheit noch manches von Uta Stade erwartet werden, denn bei ihr provoziert das Resümee als Nebenprodukt der Anerkennung die Neugier auf Neues.
Und das ist ab sofort in Arbeit.
Was den Vergleich mit Katzen betrifft, so könnten wir manchmal auch stolz sein, Ähnlichkeiten zu entdecken – und vermutlich trifft die folgende Charakterisierung unserer haarigen Hausfreunde von György Bálint auf viele Künstler und vielleicht auch auf Uta Stade zu:
Ich bin das einzige Tier, das sich nicht abrichten lässt.
Ich gebe keine Schaustellungen, ich warte nicht auf und gebe nicht Pfötchen. Deshalb halten mich viele für dumm.
Ich überlasse es einer objektiven öffentlichen Meinung, zu entscheiden, wer der Dumme ist.
Erfurt, November 2005 | Dr. Jutta Lindemann